

Viele Gerichte befassen sich immer noch damit, ob die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen der Reparatur nach einem Kfz-Haftpflichtschaden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstattbar sind (vgl. Newsletter 28/2020 und Newsletter 31/2020). Die Rechtsprechung ist weiterhin uneinheitlich. Manche Gerichte sprechen dem Geschädigten diese Kosten zu und argumentieren – wie bei den Reparaturkosten – mit dem „Werkstattrisiko“, da der Geschädigte auf die Entstehung dieser Kosten keinen Einfluss habe. Andere Gerichte prüfen ausdrücklich die Erforderlichkeit der Desinfektion und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Ein sehr ausführliches Urteil liegt jetzt vom Landgericht Stuttgart vor (Urteil vom 21.07.2021, Az. 13 S 25/21) vor. In diesem wurden der Klägerin Desinfektionskosten in Höhe von 29,75 Euro zugesprochen.
Folgendes hat das Landgericht herausgearbeitet und festgehalten:
1) Desinfektion vor Übergabe des Fahrzeugs an den Geschädigten
Der Geschädigte kann vor der Übergabe eines reparierten Fahrzeugs von der Werkstatt an ihn in Zeiten der Corona-Pandemie eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen erwarten. Der Aufwand hierfür ist im Rahmen der Schadensbeseitigung erforderlich. Denn, so das Gericht:
Das eigene Fahrzeug ist ein Bereich der Privatsphäre, in dem die Empfindlichkeit hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse und möglicher Kontaminationen von außen besonders hoch ist. Der Geschädigte kann nicht abschätzen, wie viele ihm unbekannte Mitarbeiter der Werkstatt sich in dem Fahrzeug wie lange aufgehalten oder Reparaturmaßnahmen vorgenommen haben. Aus der subjektiven Perspektive eines medizinischen Laien lässt sich eine Infektionsgefahr nach Abholung des Fahrzeugs zumindest nicht ausschließen. Der Geschädigte und Werkstattkunde darf deshalb in der Regel erwarten, dass ständig genutzte Kontaktflächen wie das Lenkrad, die Schalthebel und der Türgriff nach Fertigstellung der Reparatur desinfiziert werden.
Die Desinfektion der genannten Flächen wird sich dabei regelmäßig ohne höheren Aufwand bewerkstelligen lassen. Es wird ausreichen, die Flächen mit einem Desinfektionsspray zu behandeln oder mit einem Desinfektionstuch abzuwischen. Die dadurch entstehenden Kosten schätzt die Kammer gemäß § 287 ZPO pauschal auf 25,00 Euro zuzüglich Umsatzsteuer, insgesamt somit auf 29,75 Euro.
2) Desinfektion bei Annahme des Fahrzeugs
Weitere Desinfektionsmaßnahmen vor und während der Fahrzeugreparatur sind nicht erforderlich und daher auch nicht vom Geschädigten zu erstatten. Insoweit fehlt es an der Erforderlichkeit solcher Maßnahmen für die Schadensbeseitigung. Die Begründung lautet wie folgt:
Die Werkstatt kann dem Kunden allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen nicht gesondert in Rechnung stellen. Dem Schutz der Werkstattmitarbeiter kann durch das Benutzen von Handschuhen oder Masken ausreichend Rechnung getragen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass die Desinfektion eines Kundenfahrzeugs vorgeschrieben wäre.
Die Desinfektionskosten fallen auch nicht unter die Grundsätze des Werkstattrisikos. Grundsätzlich hat der Geschädigte im Rahmen des Werkstattrisikos, sobald er das verunfallte Fahrzeug der Werkstatt zwecks Reparatur übergeben hat, keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden. Dies darf nicht zu seinen Lasten gehen.
Die durchgeführten Desinfektionsmaßnahmen sind aber nicht nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos ersatzfähig, weil sie nicht als unmittelbarer Bestandteil der Reparaturarbeiten anzusehen sind. Es geht nicht um die Art der Ausführung der eigentlichen Reparatur und die Berechtigung einzelner hierbei anfallender Vergütungspositionen, es geht nicht um überhöhte Ansätze von Material oder Arbeitszeit oder eine unsachgemäße bzw. unwirtschaftliche Arbeitsweise, sondern um eine eigenständige Leistung ohne unmittelbaren Zusammenhang zur technischen Durchführung der Reparatur. Anders als die Frage der Notwendigkeit und richtigen Abrechnung von Reparaturmaßnahmen setzt die Beurteilung der Erforderlichkeit der Desinfektionsmaßnahmen kein besonderes technisches Verständnis voraus.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Die Erstattungsfähigkeit der Desinfektionsmaßnahmen bleibt weiterhin strittig. Interessant für Werkstätten in der hiesigen Region ist, dass das Amtsgericht Memmingen mit Verfügung vom 23.07.2021, Az. 21 C 469/21, der Auffassung des Landgerichts Stuttgart folgt. Das Amtsgericht Memmingen hält pauschale Desinfektionskosten in Höhe von 30 Euro für die Desinfektion des Fahrzeugs vor Übergabe des Fahrzeugs an den Geschädigten für erforderlich und damit für erstattungsfähig.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Gutachter sollte weiterhin den zusätzlichen Arbeits- und Materialaufwand für Desinfektionsmaßnahmen in sein Gutachten mit aufnehmen. Es empfiehlt sich, mit der Kfz-Werkstatt die Höhe der Kosten abzusprechen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte hat nach immer noch überwiegender Auffassung der Gerichte Anspruch auf Erstattung der Position „Kosten für Desinfektionsmaßnahmen“.