Seit Beginn der Corona-Pandemie haben die meisten Sachverständigen die Position „Kosten für Desinfektionsmaßnahmen“ in ihre Haftpflicht-Gutachten aufgenommen. Dabei werden diese Maßnahmen aufgeteilt in Arbeitszeit und Material. Üblicherweise werden die Arbeitszeit mit ca. 20 bis 30 Minuten und dem entsprechenden Stundeverrechnungssatz und das Material mit ca. 15,00 Euro angesetzt. Die Werkstätten, die das Auto des Geschädigten dann vor und/oder nach der Reparatur desinfizieren, berechnen diese Kosten dem Geschädigten, der sie dann im Rahmen des Schadenersatzanspruchs gegenüber der gegnerischen Versicherung geltend macht.
Einige Versicherungen übernehmen diese Kosten anstandslos, einige kürzen die Kosten auf einen von ihnen als angemessen betrachteten Betrag und andere lehnen die Erstattung komplett ab. Dabei wird argumentiert, dass die Kosten bereits in den Gemeinkosten enthalten seien bzw. neuerdings, dass Virologen festgestellt hätten, dass eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen unwahrscheinlich sei.
Nun liegt ein erstes Urteil zu dieser strittigen Position vor. Das AG Heinsberg hat mit Urteil vom 04.09.2020, Az. 18 C 161/20, entschieden, dass die Kosten Desinfektionsmaßnahmen nach einem Kfz-Haftpflichtschaden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstattbar sind. Der Kläger hatte in diesem Verfahren nur noch die um die Desinfektionsmaßnahmen gekürzte Reparaturrechnung als Schadensersatz eingeklagt. Offen waren noch EUR 60,87. Diesen Betrag hat das AG Heinsberg zugesprochen und sehr kurz in seiner Begründung festgehalten:
„Eine solche (Desinfektionsmaßnahme) ist in Zeiten der Corona-Pandemie nach erfolgter Reparatur eines Fahrzeugs, die ein Berühren des Fahrzeugs durch Dritte erfordert, notwendig. Der Betrag ist auch der Höhe nach nicht zu beanstanden, sondern für den Material- und Arbeitseinsatz angemessen (§ 287 ZPO).“
Die Werkstatt hatte dem Geschädigten in dem vom AG Heinsberg zu entscheidenden Fall nur die Kosten für die Desinfektion nach der Reparatur in Rechnung gestellt. Viele Werkstätten desinfizieren das Fahrzeug aber zusätzlich bei Hereinnahme in die Werkstatt und damit vor der Reparatur. Auch diese Kosten dürften erstattungsfähig sein, geht es doch hierbei darum, die Werkstattmitarbeiter vor Infektionen zu schützen.
Zu beachten ist auch, dass das Robert-Koch-Institut auf seiner Website festhält, dass die Möglichkeit der Schmierinfektion über Kontaktflächen nicht ausgeschlossen werden kann. Dieses Risiko dürfte ausreichend sein, um die Desinfektionsmaßnahmen zu rechtfertigen. In Restaurants und anderen öffentlichen Einrichtungen wird ja ebenfalls desinfiziert.
Sobald weitere Entscheidungen der Gerichte zu dieser Position folgen, werden wir Sie hierüber informieren.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Den zusätzliche Arbeits- und Materialaufwand für Desinfektionsmaßnahmen sollte das Autohaus dem Geschädigten in Rechnung stellen. Nach der hier vertretenen Auffassung – nun auch bestätigt von einem ersten Gericht – ist dieser schadensersatzrechtlich erstattungsfähig.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige sollte den zusätzliche Arbeits- und Materialaufwand für Desinfektionsmaßnahmen weiterhin in sein Gutachten mit aufnehmen. Der Geschädigte kann sich dann auch auf die „Reparatur-gemäß-Gutachten“-Rechtsprechung berufen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte sollte auch bei geringen Kürzungen durch die gegnerische Haftpflichtversicherung nicht klein beigeben, sondern Klage einreichen. In vielen Fällen – so unsere Erfahrung – zahlen die Versicherungen schon nach Zustellung der Klage. Damit verbundene Anwalts- und Gerichtskosten sind in diesen Fällen ebenfalls von der gegnerischen Versicherung zu zahlen.