Das AG Heinsberg hatte als erstes Gericht mit Urteil vom 04.09.2020, Az. 18 C 161/20, entschieden, dass die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen nach einem Kfz-Haftpflichtschaden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstattbar sind (vgl. Newsletter 28/2020). Nun folgen weitere Gerichte.
So hat auch das AG Landsberg am Lech mit Urteil vom 05.10.2020, Az. 3 C 420/20, und Urteil vom 15.10.2020, Az. 4 C 468/20 – letzteres Urteil hatte unsere Kanzlei erstritten – entschieden:
„Die geltend gemachten Covid-19-Reinigungskosten sind ebenfalls erforderlich. Es ist gerichtsbekannt und entspricht der allgemeinen, derzeit allgegenwärtigen Lebenserfahrung, dass in zahlreichen Bereichen des täglichen Lebens vermehrt Hygienemaßnahmen empfohlen werden, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. Weshalb nun Kosten zur Reinigung des Fahrzeugs nicht erforderlich sein sollen, obwohl während der Reparatur fremde Personen im Fahrzeug hantieren, erschließt sich nicht. Die in Ansatz gebrachten Reinigungskosten bzw. Kosten für die Schutzmaßnahmen sind deshalb unzweifelhaft erstattungsfähig.“
Ebenso das AG Lünen, mit Urteil vom14.10.2020, Az. 9 C 91/20:
„Für den Kläger streitet das sogenannte Werkstattrisiko, da sowohl Rechnung als auch vorangegangenes Gutachten diese Beträge ausweisen. Auf eine tatsächliche Bezahlung vorab kommt es nicht an. Die besondere Reinigung von Oberflächen im Innenraum des Fahrzeuges erscheint dem Gericht eine adäquate coronabedingte Maßnahme zu sein. In Coronazeiten ist beim entsprechenden Reparaturaufenthalt dies ein Risiko des Schädigers.“
Das AG Aichach, mit Urteil vom 29.09.2020, Az. 101 C 560/20:
„Hinsichtlich der Maßnahmen zur Ansteckungsvermeidung erscheint dem Gericht nachvollziehbar, dass in der derzeitigen Pandemiesituation zusätzlicher Aufwand getrieben werden muss. Ein Sachaufwand von 15 Euro netto und ein zusätzlicher Arbeitsaufwand von 43,50 Euro netto für Desinfektionsmaßnahmen, Abdeckungen und längere Betriebsabläufe wegen Abstandsvorschriften sind ohne weiteres nachvollziehbar. Es ist nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte auf die ins Blaue aufgestellte Vermutung kommt, der Reparaturbetrieb habe diese abgerechneten Vorgänge gar nicht erbracht. Es handelt sich zweifelsohne um Maßnahmen, die in der derzeitigen Lage erwartet werden dürfen und damit auch konkludent vertraglich vereinbart sind. Es besteht auch ein zurechenbarer Kausalzusammenhang zu dem Unfallereignis. Das Gericht schätzt den Aufwand demgemäß auf die abgerechneten Werte (§ 287 ZPO).“
Das AG Kempten, mit Urteil vom 12.10.2020, Az. 6 C 844/20:
„Nachdem das Fahrzeug aufgrund des Verkehrsunfalls instand zu setzen war, sind auch die dadurch angefallenen COVID-Reinigungskosten zur Durchführung der Reparatur adäquat kausal durch den Unfall verursacht. Diese stellen nicht lediglich allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen dar, sondern sind gerade Teil des konkreten jeweiligen Reparaturauftrages und damit im Rahmen der Schadensbeseitigung vereinbart.“
Das AG München hat in einer Verfügung die beklagte Versicherung darauf hingewiesen, dass es sich nicht mit den Desinfektionskosten, sondern nur mit der Frage des Werkstattrisikos auseinandersetzen werde (AG München, Verfügung vom 30.09.2020, Az. 331 C 13198/20). Das sog. Werkstattrisiko hatte auch das AG Landsberg in „unserem Fall“ als allgemeine Begründung vor der detaillierten Begründung zu den Covid-Maßnahmen vorangestellt.
Demgegenüber hat das AG Neu-Ulm angekündigt (Az. 5 C 720/20), die Kosten für die Desinfektionsmaßnahmen nicht als ersatzfähige Schadensersatzposition anzusehen. Begründet wurde dies damit, dass der der Unfall nicht adäquat kausal für die Position der Covid-Reinigungskosten sei. Der Schädiger hafte nur, wenn ein direkter, ursächlicher und angemessener Zusammenhang zwischen der Handlung des Schädigers und dem dadurch entstandenen Schaden gegeben sei. Das sei aber nicht der Fall, denn die Ausbreitung der Pandemie bis hin zu den Auswirkungen im Bereich der Fahrzeugdesinfektion war nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zu erwarten.
Zeit- und Materialstudie der IFL
Die Interessengemeinschaft Fahrzeugtechnik und Lackierung, IFL e.V., hat in Zusammenarbeit mit dem Allianz Zentrum für Technik (AZT) und dem Zentralverband Karosserie- und Fahrzeugtechnik (ZKF) in der Technischen IFL-Mitteilung Nr. 21/2020 eine Zeit- und Materialstudie zu den Schutzmaßnahmen Corona-Virus (SARS-CoV-2) veröffentlicht.
Branchenweit haben sich der Studie zufolge zwei Arten der Fahrzeugdesinfektion durchgesetzt: Die Wischdesinfektion, die mit Feuchttüchern oder handelsüblichen Reinigern und Einmaltüchern durchgeführt wird, und die Kaltvernebelung von Natriumhypochlorid zur Desinfektion des Außen- und Innenbereichs. Bei letzterer wird der stark verdünnte Wirkstoff bei einem Betriebsdruck von 4 bis 6 bar in einen Vernebler gefüllt, was Viren und Bakterien innerhalb von ca. 15 Sekunden oxidiert. Bei beiden Arten der Fahrzeugdesinfektion ergab sich für „sämtliche Desinfektionsarbeiten für Annahme und Rückgabe des Fahrzeugs inklusive aller vor- und nachbereitenden Tätigkeiten“ ein aufgerundeter Arbeitswert von 3 AW (Arbeitswerten). Pro Auftrag ergeben sich zudem einmalige Kosten für benötigtes Verbrauchsmaterial in Höhe von 7,50 Euro.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Entsteht Streit über die Höhe der Kosten für die Desinfektionsmaßnahmen, kann es zukünftig sein, dass die Studie der IFL zur Ermittlung der angemessenen Schadenshöhe in Gerichtsverfahren angewandt wird. Derzeit rechnen die Autohäuser teilweise höhere Kosten ab. Wie hoch die Kosten dann tatsächlich zu veranschlagen sind, damit der Geschädigte sie erstattet bekommt, werden weitere Urteile zeigen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige sollte den zusätzlichen Arbeits- und Materialaufwand für Desinfektionsmaßnahmen in sein Gutachten mit aufnehmen. Ob die Höhe derselben der IFL-Studie anzupassen ist, wird die Praxis zeigen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte sollte, sofern die gegnerische Haftpflichtversicherung die Position „Kosten für Desinfektionsmaßnahmen“ kürzt, nicht klein beigeben, sondern Klage einreichen. Die bisherigen Urteile sprechen dem Geschädigten diese Schadenersatzposition überwiegend zu.