Es kann durchaus vorkommen, dass ein Fahrzeug bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall an einer Stelle beschädigt wird, an der schon ein Vorschaden besteht. Ist dies der Fall, muss der Geschädigte den Vorschaden – sei er repariert worden oder nicht – dem Sachverständigen gegenüber angeben, damit der Vorschaden bei der Ermittlung der Reparaturkosten oder des Wiederbeschaffungswerts berücksichtigen werden kann. Verschweigt der Geschädigte einen Vorschaden, ist das Gutachten falsch und der Geschädigte hat unter Umständen gar keinen Anspruch auf Schadensersatz.
Auch stellt sich die Frage, ob überhaupt ein Schaden eingetreten ist, wenn durch den Unfall ein weiterer Schaden an einem bereits beschädigten (und nicht reparierten) Bauteil hinzukommt.
Es sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
- Nach dem ersten Schaden war das Bauteil noch reparabel, nach dem zweiten muss es erneuert werden.
- Auch nach dem zweiten Schaden ist das Bauteil noch nutzbar.
Fallgruppe 1):
In dieser Fallgruppe ist der alte Schaden klein, der neue Schaden groß. Beispiel: Die Tür hat als Altschaden „eine kleine Macke“, ist aber nach dem zweiten Unfall so verformt, dass sie erneuert werden muss – dann handelt es sich zweifelsohne um eine Erweiterung des Schadens. Der Geschädigte kann die Tür austauschen lassen und die Kosten hierfür von der gegnerischen Versicherung erstattet verlangen. Allerdings kann dem Geschädigten unter bestimmten Umständen eine Wertverbesserung anzurechnen sein (vgl. Newsletter 05/2019).
Fallgruppe 2):
In dieser Fallgruppe ist der alte Schaden schon erneuerungsbedürftig.Hier gibt es Rechtsprechung, die sagt: Was schon erneuerungsbedürftig beschädigt ist, kann keinen weiteren Schaden mehr erleiden. Beispiel: Der Stoßfänger mit dem Altschaden war noch nutzbar, aber unter Schadenersatzgesichtspunkten bereits erneuerungsbedürftig. Kommt dann ein zweiter Schaden hinzu, der den Stoßfänger ebenfalls noch benutzbar lässt, aber schadenrechtlich betrachtet auch eine Erneuerung nach sich zöge, tritt wirtschaftlich betrachtet kein Schaden ein (vgl. AG Buxtehude, Urteil vom 26.09.1996, Az. 32 C 242/96; AG Hannover, Urteil vom 17.10.1997, Az. 515 C 9725/97; AG Berlin-Mitte, Urteil vom 20.07.2005, Az. 110 C 3519/03).
Folgt man dieser Ansicht, würde der Unfallverursacher des zweiten Schadens folgenlos „davonkommen“.
Dagegen kann mit einer Aussage des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Urteil vom 07.05.1996, Az. VI ZR 138/95, argumentiert werden:
“Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch … vom Geschädigten nicht, zu Gunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte. Denn in letzterem Fall wird der Geschädigte nicht selten Verzichte üben oder Anstrengungen machen, die sich im Verhältnis zum Schädiger als überobligatorisch darstellen und die dieser daher vom Geschädigten nicht verlangen kann.“
Dahinter steht der Gedanke, dass der Geschädigte bei einem selbst verursachten und selbst zu bezahlenden Schaden häufig Entbehrungen auf sich nimmt – er lässt den Altschaden nicht reparieren –, die er bei einem greifbaren Schädiger nicht auf sich nehmen muss.
Mit dieser Argumentation könnte der Geschädigte den neuen Schaden auf Kosten des Schädigers beseitigen lassen. Dass dabei der Altschaden mitbeseitigt wird, müsste durch einen Abzug bei den Reparaturkosten für die Wertverbesserung berücksichtigt werden. Ob die gegnerische Versicherung dies so ohne weiteres akzeptiert, ist fraglich.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Hat das verunfallte Fahrzeug bereits einen Vorschaden an derselben Stelle, ist nicht sicher, dass die gegnerische Versicherung dem Geschädigten die kompletten Reparaturkosten erstattet. Es kommt auf den Umfang des alten und des neuen Schadens an. Hierauf sollte das Autohaus den Geschädigten hinweisen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Liegt ein Vorschaden am verunfallten Fahrzeug vor, muss der Gutachter diesen in seinem Gutachten festhalten. Zum Umfang der Schäden sollte der Sachverständige ebenfalls Stellung nehmen. Ist der alte Schaden klein und der neue groß, handelt es sich um eine Schadenserweiterung. Ist nach dem ersten Unfall das Bauteil schon erneuerungsbedürftig, tritt eigentlich keine Schadenserweiterung mehr ein. Mit dem Gedanken des überobligatorischen Verzichts könnte eine Erstattung durch die Gegenseite zu erreichen sein – eine Wertverbesserung muss der Sachverständige dann im Gutachten festhalten.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Vorschäden muss der Geschädigte auf jeden Fall dem Sachverständigen mitteilen, damit der Sachverständige beide Schäden beurteilen kann. Auf Grundlage dessen ergibt sich dann die Höhe des Schadensersatzanspruchs des Geschädigten.