Bereits im Jahr 1974 hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73, entschieden, dass der Geschädigte nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nehmen darf und sie nicht dem Schädiger anvertrauen muss.
In der Praxis sieht das aber anders aus: In vier von zehn Fällen, genau genommen in 41 % der Fälle, üben die Versicherungen Einfluss auf die Schadenregulierung aus. Dies geht aus aktuellen Zahlen (Mai 2018) der Trend-Tacho-Studie „Karosserie & Lack, Schadensteuerung“ der Fachzeitschrift »kfz-betrieb« und der Sachverständigenorganisation KÜS hervor. Zum Vergleich: 2016 betraf die Einflussnahme nicht einmal jeden dritten Schadenfall (30 %).
Das zeigt, dass die Versicherungen mit ihren Aktivitäten zunehmend Einfluss auf die Schadenregulierung nehmen. Ziel dabei ist es, die Ausweitung des Schadens zu verhindern und die Schadenbeseitigung dadurch kostengünstiger zu gestalten, dass Dienstleister die Reparatur bzw. Instandsetzung durchführen, mit denen das Versicherungsunternehmen Großkundenkonditionen vereinbart hat.
Konkret sollen dem Geschädigten Partnerwerkstätten des Versicherers für die Reparatur, Mietwägen für die Reparatur- oder Wiederbeschaffungsdauer oder Sachverständige des Versicherers vermittelt werden. Durch letzteres wird zudem Einfluss auf die Restwertermittlung über Restwertbörsen, die Reparaturmethode oder die Frage „Erneuerung oder Instandsetzung des Kraftfahrzeugs“ genommen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Kaskofall eine Einflussnahme der Versicherung aufgrund der Vertragsbestimmungen gerechtfertigt sein kann. Die Rechtslage bei Kaskoschäden ist immer davon abhängig, wie der jeweilige Anspruch im Kaskovertrag geregelt ist. Und sieht der Vertrag eine Klausel zur Werkstattbindung vor, darf die Versicherung den Versicherungsnehmer anweisen, nur in der (günstigeren) Partnerwerkstatt der Versicherung reparieren zu lassen.
Im Haftpflichtfall gilt das aber nicht. Hier gibt es keinen vertraglichen Anspruch, der Geschädigte macht einen Schadenersatzanspruch geltend. Und hier gilt, wie schon oben gesagt: Der Geschädigte darf die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nehmen. Selbst das Werkstattrisiko verbleibt beim Schädiger. Der Schädiger kann mit seinen Einwendungen (unnötige Arbeiten, zu hohe Preise, verzögerte Reparaturdauer) gegenüber dem Geschädigten nicht durchgreifen – er kann sich als Korrektiv nur etwaige Ansprüche des Geschädigten gegen die Werkstatt abtreten lassen (vgl. hierzu unseren Newsletter 19/2018).
Das BGH Urteil aus dem Jahre 1974 ist damit aktueller denn je und muss von den Rechtsanwälten der Unfallgeschädigten konsequent angewandt werden, um der Schadensteuerung und den damit verbundenen Kürzungen durch die Versicherungen zu entgegnen.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Der Geschädigte kann im Haftpflichtfall die Reparaturwerkstatt frei wählen. Zweifel beim Geschädigten hieran sollte das Autohaus zerstreuen, indem über die Aktivitäten der Versicherungen aufgeklärt wird. Um auch bei Kaskoschäden weiterhin der erste Ansprechpartner des Kunden zu sein, sollte das Autohaus bzw. dessen Vertriebsabteilung darauf achten, dass die Kunden keine Versicherungsverträge mit Werkstattbindung abschließen. Die Ersparnis ist zudem gering für den Versicherungsnehmer – er spart sich ca. 50 bis 60 Euro im Jahr, muss dafür aber in der Partnerwerkstatt der Versicherung reparieren lassen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Versucht die gegnerische Versicherung, dem Geschädigten einen Sachverständigen zu vermitteln, muss der Geschädigte auf dieses Angebot nicht eingehen. Der Geschädigte hat das Recht zur freien Wahl eines Sachverständigen seines Vertrauens. Darauf sollte der Sachverständige den Geschädigten hinweisen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte sollte sich durch die gegnerische Versicherung, die teilweise schon unmittelbar nach dem Unfall durch Anrufe oder Schreiben Kontakt mit dem Geschädigten aufnimmt, nicht beeinflussen lassen. Die Versicherung ist die Versicherung des Unfallgegners und nicht der Freund des Geschädigten und versucht zu ihren Gunsten, die Ansprüche des Geschädigten gering zu halten.