

In unserem Newsletter 29/2018 hatten wir davon berichtet, wie die Haftpflichtversicherungen durch die Schadensteuerung Einfluss auf die Unfallregulierung nehmen. Doch selbst wenn der Geschädigte eines unverschuldeten Verkehrsunfalls sich nicht auf die Angebote der Versicherung einlässt und die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nimmt, werden die Ansprüche des Geschädigten in den meisten Fällen zunächst einmal gekürzt.
Nach Kürzungen bei der fiktiven Abrechnung und den Mietwagen- und Sachverständigenrechnungen sind neuestes Angriffsziel nun die Reparaturrechnungen. Ist das alles Teil einer einheitlichen jahrelangen Strategie?
Angefangen hat alles mit dem „Porsche-Urteil“ des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 29.04.2003, Az. VI ZR 398/02 (gefolgt vom „VW-Urteil“ vom 20.10.2009, Az. VI ZR 53/09, „BMW-Urteil“ vom 23.02.2010, Az. VI ZR 91/09 und „Mercedes-Urteil“ vom 22.06.2010, Az. VI ZR 337/09). Seither verweisen die Haftpflichtversicherungen bei fiktiver Abrechnung auf günstigere Werkstätten. Dabei werden die deutlich geringeren Stundensätze der Verweisungswerkstätten angesetzt und auch sonstige Schadenspositionen wie UPE-Zuschläge (Preisaufschläge auf die unverbindlich empfohlenen Preise für Ersatzteile), Verbringungskosten oder Kosten der Beilackierung gestrichen.
Die Kürzungen betragen bis zu 30 %. Des Weiteren „spart“ sich die Versicherung die Umsatzsteuer aufgrund § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, da diese nicht angefallen ist. Dies hat zur Folge, dass bei einer fiktiven Abrechnung oft nur circa 40 % dessen gezahlt wird, was bei einer konkreten Abrechnung auf Basis einer Reparaturrechnung gezahlt werden müsste.
Danach kürzten die Versicherungen auch bei konkreter Abrechnung – hier wurden zunächst die Mietwagenabrechnungen ins Visier genommen. Mit Urteil vom 12.10.2004, Az. VI ZR151/03, kippte der BGH den sogenannten „Unfallersatztarif“.
Daraufhin folgten Abzüge bei der Honorarrechnung des Sachverständigen. Der BGH hat in zahlreichen Urteilen zur Erforderlichkeit des Sachverständigenhonorars Stellung genommen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es schadenrechtlich darauf ankommt, dass das Honorar des Gutachters nicht unüblich hoch ist (vgl. BGH, Urteil vom 23.01.2007, Az. VI ZR 67/06, Urteil vom 22.07.2014, VI ZR 357/13, Urteil vom 26.04.2016, Az. VI ZR 50/15). Dabei ist der Geschädigte im Regelfall berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl zu beauftragen.
In der jüngsten Zeit häufen sich nun die Fälle, in denen die in der Reparaturrechnung ausgewiesenen Positionen (z.B. Verbringungskosten, Lackierkosten, Arbeitswerte, Ersatzteilpreise) gekürzt oder ganz gestrichen werden. Dass das Ganze Zufall ist, mag angesichts der obigen Ausführungen bezweifelt werden.
Die Kürzungen bei der konkreten Abrechnung unter Vorlage der Reparaturrechnung sind nicht rechtens. Der BGH hat bereits mit Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73 entschieden, dass der Geschädigte nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nehmen darf und sie nicht dem Schädiger anvertrauen muss. Der Schädiger schuldet bei der Instandsetzung eines beschädigten Kraftfahrzeugs als Herstellungsaufwand nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB grundsätzlich auch die Mehrkosten, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat.
Das BGH Urteil aus dem Jahr 1974 ist damit aktueller denn je und muss von den Rechtsanwälten der Unfallgeschädigten konsequent angewandt werden, um den Kürzungen durch die Versicherungen zu entgegnen. Auch wenn dies für die Rechtsanwälte durch zahlreiche Klageeinreichungen wegen geringer Beträge einen erhöhten Aufwand bedeutet, ist dies der einzig effektive Weg, sich gegen das Verhalten der Versicherungen zu wehren.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Das Autohaus sollte sich bewusst sein, dass 90 % der Schadenspositionen – darunter auch die Reparaturrechnung – in eindeutigen Fällen und vorhandener Schadensmeldung durch den Gegner nach ca. vier bis sechs Wochen reguliert werden. Um die gekürzten weiteren 10 % zu realisieren, können aber weitere drei bis sechs Monate vergehen. In vielen Fällen erfolgt die Zahlung der Versicherung nach Zustellung der Klage. Beauftragt die Haftpflichtversicherung aber ihre eigenen Rechtsanwälte mit der Klageverteidigung, wird zunächst einmal alles bestritten, so dass der Kläger schriftsätzlich vortragen und Beweise benennen muss. Bis es dann zu einem Urteil und zu einem Geldfluss kommt, können schnell sechs Monate vergehen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Bzgl. der Kürzungen beim Sachverständigenhonorar gelten die obigen Ausführungen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte sollte auch Kürzungen im kleineren Bereich nicht hinnehmen, sondern dagegen – auch mittels Klage – vorgehen. Letztendlich lohnt sich die Hartnäckigkeit: da nach dem Schadensersatzrecht die Kürzungen der Versicherungen meist unberechtigt sind, ist ein obsiegendes Urteil wahrscheinlich.