

Bei einem unverschuldeten Unfall darf der Geschädigte grundsätzlich auf der Grundlage des im Schadengutachten festgestellten Restwerts ohne Rücksprache mit dem Versicherer sein verunfalltes Auto verkaufen, so die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), zuletzt mit Urteil vom 27.09.2016, Az. VI ZR 673/15. Der Geschädigte darf sich auf das Gutachten verlassen, wenn es eine korrekte Restwertermittlung erkennen lässt. Der Sachverständige hat dafür „als geeignete Schätzgrundlage für den Restwert im Regelfall drei Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt zu ermitteln und diese in seinem Gutachten konkret zu benennen“ (vgl. BGH, Urteil vom 13.10.2009, Az. VI ZR 318/08).
Eine Einschränkung hat der BGH in seinem Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, vorgenommen (vgl. auch unseren Newsletter 23/2019). Denn bei der Restwertermittlung sind die Erkenntnismöglichkeiten des Eigentümers zu berücksichtigen. Demnach ist denjenigen Unternehmen, die sich selbst (auch) gewerblich mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtwagen befassen, die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote ohne weiteres zuzumuten. Es stellt für diese Unternehmen keine unzumutbare Mühe dar, die zugehörigen Internetseiten aufzurufen und ihr Angebot einzustellen.
Das gilt sicherlich für Autohäuser, Autovermieter, Carsharing-Unternehmen, Unternehmen mit Fahrzeugflotten, Restwerthändler und auch Leasinggesellschaften. All diese müssen bei eigenen verunfallten Fahrzeugen den Restwert auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes im Internet ermitteln lassen.
Lässt sich diese Rechtsprechung auch auf finanzierte Fahrzeuge übertragen?
Nein, sagt das AG Bad Hersfeld in seinem Urteil vom 14.09.2022, Az. 10 C 190/22. Zwar gehört das finanzierte Fahrzeug aufgrund des ihr regelmäßig im Finanzierungsvertrags eingeräumten Sicherungseigentums der Bank. Das ändert aber nichts daran, dass für die Restwertermittlung auf den örtlichen allgemeinen Markt abzustellen ist. Hergeleitet hat das Gericht dies wie folgt:
Zwischen den Rechtsstellungen im Rahmen eines Leasingvertrages und einer Finanzierung per Darlehen ist zu unterscheiden.
Der Leasinggeber bleibt auch am Ende des Leasingvertrags der Eigentümer, er vermarktet das Fahrzeug. Einige Leasinggesellschaften betreiben dafür einen eigenen Fahrzeughandel und verkaufen Tag für Tag Gebrauchtwagen. Das Interesse des Leasinggebers gilt dem Erhalt des Fahrzeugs zur Anschlussverwertung. Der Leasingnehmer hat nur die Stellung eines Mieters.
Bei einer Finanzierung mittels Darlehen und Sicherungsübereignung geht nach der Zahlung der letzten Rate das Eigentum auf den Darlehensnehmer über. Die finanzierende Bank verliert ihr Sicherungseigentum. Das Interesse des Darlehensnehmers ist auf die Zahlung der Darlehensraten gerichtet.
Im vom AG Hersfeld zu entscheidenden Fall valutierte das Darlehen zum Unfallzeitpunkt noch mit 6.524,64 Euro. Der Geschädigte hatte es mit einer entsprechenden Zahlung abgelöst. Damit war die Bank befriedigt und das Eigentum am Fahrzeug ging – wie bei einer Finanzierung üblich – mit der Schlusszahlung an den Darlehensnehmer über, das Sicherungseigentum der Bank war erloschen. Die Bank überließ dem Geschädigten, der dann kein Darlehensnehmer mehr war, die Unfallregulierung. Deshalb war auf den Darlehensnehmer abzustellen und dieser war als Geschädigter zur Veräußerung zum sachverständig auf dem regionalen Markt ermittelten Restwert berechtigt.
Ebenso hat das AG Münster mit Urteil vom 19.06.2020, Az. 61 C 225/19, entschieden, allerdings mit anderer Begründung. Es hat auf die finanzierende Bank abgestellt, die anders als eine Leasinggesellschaft die Fahrzeuge am Ende der Finanzierung nicht vermarktet. Damit falle die Bank nicht in die Fallgruppe der gewerblich mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtwagen befassten Geschädigten.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
In vielen Fällen veräußert das Autohaus die von Privatkunden angekauften Unfallfahrzeuge am sogenannten Sondermarkt weiter. Deswegen hat der BGH das Autohaus in dem Fall, in dem das Autohaus selbst Geschädigter ist, anders als unbeholfene private Geschädigte behandelt. Das Autohaus muss bei seinen eigenen verunfallten Fahrzeugen den Restwert auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes im Internet ermitteln lassen müssen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige muss bei der Restwertermittlung unterscheiden:
- Bei Privaten und Unternehmen, die „nicht gewerblich mit dem An- und Verkauf von Fahrzeugen befasst sind“, muss er den Restwert auf dem allgemeinen regionalen Markt ermitteln und grundsätzlich drei lokale Restwertangebote in sein Gutachten aufnehmen.
- Bei Unternehmen, die „gewerblich mit dem An- und Verkauf von Fahrzeugen befasst sind“, muss er den Restwert auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes ermitteln. Er ist aber trotzdem gehalten, die Plausibilität der Angebote des Sondermarktes zu überprüfen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Ist der Geschädigte Eigentümer des verunfallten Fahrzeugs, ändert sich für ihn nichts. Da der „Normalverbraucher“ nicht über Kenntnisse des Sondermarktes verfügt und sich an seinen vertrauten Vertragshändler wenden darf, ist bei der Restwertermittlung ausschließlich der allgemeine regionale Markt zu berücksichtigen. Das gilt auch dann, wenn das verunfallte Fahrzeug des Geschädigten, wie im obigen Fall, finanziert ist. Ist das Fahrzeug jedoch geleast, ist der Leasinggeber Eigentümer und vermarktet das Fahrzeug nach Ende des Leasingvertrags. Dem Geschädigten ist daher die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote zuzumuten.