Bei einem unverschuldeten Unfall darf der Geschädigte auf der Grundlage des im Schadengutachten festgestellten Restwerts ohne Rücksprache mit dem Versicherer sein verunfalltes Auto verkaufen, so die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), zuletzt mit Urteil vom 27.09.2016, VI ZR 673/15. Mit Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, hat der BGH dies im Wesentlichen bestätigt, aber präzisiert, dass bei der Restwertermittlung die Erkenntnismöglichkeiten des Eigentümers zu berücksichtigen sind(vgl. unser Newsletter 23/2019). Wenn es sich beim Geschädigten um ein Unternehmen handelt, welches sich jedenfalls auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst, ist einem solchen Geschädigten die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote zuzumuten. Im Streitfall ging es um den Pkw eines Autohauses, der bei einem Verkehrsunfall beschädigt wurde. Ein Autohaus fällt zweifelsohne in die Fallgruppe derjenigen Unternehmen, die sich auch mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtwagen befassen. Ein Autohaus als Geschädigter muss daher seitdem bei seinen eigenen verunfallten Fahrzeugen den Restwert durch einen Sachverständigen auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes im Internet ermitteln lassen.
In der o.g. Entscheidung hat der BGH auch auf das Urteil des OLG Düsseldorf vom 15.03.2018, Az. 1 U 55/17, Bezug genommen. Das OLG Düsseldorf hat bereits damals auch Leasingunternehmen der Fallgruppe „Unternehmen, die sich auch mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtwagen befassen“ zugeordnet. Damit war eigentlich klar, dass auch Leasingunternehmen, wenn ein in Ihrem Eigentum stehendes Fahrzeug verunfallt, den Restwert auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes im Internet ermitteln lassen müssen.
Dies hat der BGH nun noch einmal in seinem Urteil vom 02.07.2024, Az. VI ZR 211/22, klargestellt.
Der Sachverhalt:
Bei einem Verkehrsunfall erlitt der von der Klägerin geleaste und zum Zeitpunkt des Unfalls im Eigentum der Leasinggeberin stehende PKW einen Totalschaden. Die Haftung der beklagten Haftpflichtversicherung war unstreitig.
Die Klägerin beauftragte einen Sachverständigen, der am 10.10.2019 einen Restwert von 13.800 Euro des Unfallfahrzeugs unter Berücksichtigung von drei Angeboten regionaler Ankäufer ermittelte. Die Klägerin gab dies der Beklagten zur Kenntnis. Am 23.10.2019 legte die Beklagte der Klägerin ein über eine Internet-Restwertbörse ermitteltes Restwertangebot in Höhe von 22.999 Euro vor und rechnete den Fahrzeugschaden auf dieser Basis ab. Die Klägerin hatte das Fahrzeug aber bereits am 22.10.2019 zu dem Restwert aus dem von ihr eingeholten Sachverständigengutachten veräußert. Mit ihrer Klage begehrt sie den Differenzbetrag zwischen dem von der Beklagten angesetzten Restwert und dem tatsächlich erzielten Verkaufserlös, also 9.199 Euro. Das Erstgericht hatte der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hingegen hatte die Klage abgewiesen. Zu Recht, so der BGH:
Das Urteil:
Der BGH wies die Klage ab, da es sich bei einem Leasingunternehmen um ein Unternehmen handelt, das sich auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst und Angebote aus dem Restwertmarkt hätte berücksichtigen müssen.
Grundsätzlich hat der Geschädigte bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB den wirtschaftlichsten Weg zu wählen. Dieses Wirtschaftlichkeitsgebot gilt aber nicht absolut, sondern nur im Rahmen des dem Geschädigten Zumutbaren. Zudem ist Rücksicht auf die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten zu nehmen (sog. subjektive Schadensbetrachtung).
Vorliegend war das Fahrzeug ein Leasingfahrzeug, und die Klägerin machte als Leasingnehmerin ein fremdes Recht (nämlich das der Leasinggeberin aus der Beschädigung des Eigentums) im eigenen Namen geltend, sog. gewillkürte Prozessstandschaft. Damit sind im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Leasinggebers maßgeblich.
Nach diesen Grundsätzen ist auf die Leasinggeberin abzustellen und diese befasst sich auch mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtwagen. Ein Leasingunternehmen kauft ständig Autos und verkauft sie meist nach drei Jahren wieder. In der Zwischenzeit werden die Fahrzeuge im Wege des Leasings überlassen.
Der Grund, warum der BGH trennt zwischen den Fallgruppen „Unternehmen, das sich auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst“ und „der nicht gewerblich mit der Verwertung eines Gebrauchtwagens befasste (private) Unfallgeschädigte“, ist folgender: Der BGH möchte, dass der privat Geschädigte das verunfallte Fahrzeug beim Erwerb des Ersatzwagens bei einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler in Zahlung geben kann. Das geht nur dort, wo unbeschädigte Neu- oder Gebrauchtwagen verkauft werden. Bei den Restwertaufkäufern vom Restwertmarkt kann der Geschädigte kein Ersatzfahrzeug beschaffen.
Diese Privilegierung trifft auf ein Leasingunternehmen aber nicht zu. Ein Leasinggeber muss das Unfallfahrzeug nicht beim Erwerb des Ersatzwagens in Zahlung geben. Am Ende der planmäßigen oder nach einem Unfall unplanmäßigen Leasingdauer verkauft der Leasinggeber das Fahrzeug. Selbst wenn er es an das Autohaus verkauft, das den Leasingnehmern betreut, ist dies keine Inzahlunggabe durch den Leasingnehmer.
Damit ist dem Leasinggeber die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote ohne weiteres zuzumuten. Es stellt für den Leasinggeber keine unzumutbare Mühe dar, die zugehörigen Internetseiten aufzurufen und ihr Angebot einzustellen.
Vor diesem Hintergrund stellte das eingeholte Gutachten, das ausschließlich die Restwertangebote regionaler Anbieter des allgemeinen Marktes berücksichtigt, keine geeignete Grundlage für die konkrete Klageforderung dar. Das Restwertangebot der beklagten Versicherung war daher zu Recht der Abrechnung zugrunde gelegt worden.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
In dem Fall, in dem das Autohaus selbst Geschädigter ist, muss das Autohaus bei seinen eigenen verunfallten Fahrzeugen den Restwert auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes im Internet ermitteln lassen. Das Autohaus fällt unter die Fallgruppe „Unternehmen, das sich auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst“. Andernfalls besteht das Risiko, dass der höhere von der Versicherung genannte Restwert aus der Restwertbörse zählt und sich der vom Autohaus erzielte Erlös als zu niedrig erweist.
Ist der Kunde des Autohauses Leasingnehmer gilt das auch. Der Leasinggeber ist Eigentümer des Fahrzeugs und fällt auch unter die Fallgruppe „Unternehmen, das sich auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst“. Autohäuser sollte daher bei solchen Kunden die Restwertermittlung überprüfen, bevor sie dem Kunden ein neues Fahrzeug verkaufen, sonst können Finanzierungslücken auftreten.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige ist grundsätzlich verpflichtet, den Restwert auf dem allgemeinen regionalen Markt – also dem Markt der örtlich ansässigen Vertrags- und seriösen Gebrauchtwagenhändler – zu ermitteln und drei Restwertangebote aus dem regionalen Markt in sein Gutachten aufzunehmen.
In den Fällen allerdings, in denen der Geschädigte ein Unternehmen ist, das mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtfahrzeugen befasst ist, hat er den Restwert auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes der Restwertaufkäufer im Internet zu ermitteln. Unter diese Fallgruppe fallen Autohäuser und Leasingunternehmen. Er ist aber auch hier gehalten, die Plausibilität der Angebote des Sondermarktes zu überprüfen.
Ermittelt der Sachverständige den Restwert nicht nach den obigen Vorgaben, drohen Regressprozesse des Leasinggebers oder des Leasingnehmers gegen den Gutachter.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Für den privaten Geschädigten, der Eigentümer seines Fahrzeugs ist, ändert sich nichts. Der BGH führt explizit aus, dass an der bisherigen Restwertrechtsprechung festgehalten wird, soweit es um Geschädigte geht, die nicht über diese Sonderkenntnisse verfügen. Da der „Normalverbraucher“ nicht über Kenntnisse des Sondermarktes verfügt und sich an seinen vertrauten Vertragshändler wenden darf, ist bei der Restwertermittlung ausschließlich der allgemeine regionale Markt zu berücksichtigen.
Hat der private Geschädigte sein Fahrzeug geleast, ist Eigentümer des Fahrzeugs der Leasinggeber. Es ist auf diesen abzustellen und dieser fällt unter die Fallgruppe „Unternehmen, das sich auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst“. Der Restwert ist dann auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes zu ermitteln.