Lange haben die Beteiligten im Unfallregulierungsgeschäft darauf gewartet, jetzt liegen sie vor: Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Thema Wertminderung und Umsatzsteuer (Urteile vom 15.07.2024, Az. VI ZR VI 188/22, VI ZR 205/23, VI ZR 239/23 und VI ZR 243/23). Ein anderer Begriff für die Wertminderung ist der merkantile Minderwert.
Definition Wertminderung
Bei der Wertminderung handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts. Trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall beschädigten Kraftfahrzeuges besteht bei einem großen Teil des Publikums eine Abneigung gegen den Erwerb eines unfallbeschädigten Kraftfahrzeugs. Grund ist, dass auch bei instandgesetzten Unfallfahrzeugen verborgene technische Mängel nicht auszuschließen sind und das Risiko höherer Schadensanfälligkeit infolge nicht fachgerechter Reparatur besteht. Damit erzielen Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis als unfallfreie. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar, den sog. merkantilen Minderwert oder eben die Wertminderung.
Die Wertminderung ist unabhängig davon zu ersetzen, was der Geschädigte mit seinem Fahrzeug macht. Es kommt nicht darauf an, ob er das Fahrzeug verkauft und sich die Wertminderung tatsächlich in einem geringeren Verkaufspreis manifestiert. Benutzt der Geschädigte sein Fahrzeug weiter, ist dessen Wert nach der allgemeinen Verkehrsauffassung geringer als der eines unfallfreien Fahrzeugs. Unerheblich für die Erstattungspflicht ist auch, dass die Wertminderung bei weiterem Gebrauch des Fahrzeugs im Laufe der Zeit geringer wird. Der Schädiger hat die Wertminderung des Fahrzeugs zu ersetzen, wie sie sich im Zeitpunkt der Inbetriebnahme nach der Reparatur ergibt.
Grundsätzlich schließen sich Wertminderung und Umsatzsteuer aus, denn:
Der Ersatz der Wertminderung unterliegt nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, weil es sich bei dieser nach dem Gesetz (§ 251 Abs. 1 BGB) zu zahlenden Entschädigung nicht um eine Leistung gegen Entgelt handelt, es also am erforderlichen Austausch gegenseitiger Leistungen fehlt.
Seit Jahren streiten sich Unfallgeschädigte und Haftpflichtversicherer über die Frage, wie die Wertminderung zu behandeln ist, wenn der Geschädigte zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Bisherige Ansichten:
Die Ansicht des vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten, dem die Versicherung 19 % aus der vom Gutachter festgestellten Wertminderung gekürzt hat, war folgende:
Aufgrund § 1 Abs. 1 Ziffer 1 S. 1 UStG enthält die Wertminderung keine Umsatzsteuer, da die Erhebung von Umsatzsteuer einen Leistungsaustausch voraussetzt. Die Wertminderung wird aber weder geleistet noch geliefert, schon gar nicht von einem Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens. Also ist es falsch, wenn in einem Schadengutachten eine Netto- und eine Bruttowertminderung ausgewiesen wird. Eine Umsatzsteuer kann man nicht aus der Wertminderung „herausziehen“, weil sie nicht „drin“ ist. Die vom Sachverständigen ermittelte Wertminderung ist damit eine steuerneutrale Position.
Die Haftpflichtversicherer haben sich auf den Standpunkt gestellt, dass sich beim Vorsteuerabzugsberechtigten, der das verunfallte Fahrzeug verkauft, die Umsatzsteuer in der Vermögensbilanz bemerkbar macht und daher von vornherein bei der Entschädigung abgezogen werden muss. Schadensrechtlich betrachtet ist dem Geschädigten, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, nur der Betrag zu erstatten, der ihm verbliebe, wenn er aktuell die Wertminderung durch Veräußerung des reparierten Kraftfahrzeugs realisieren würde. Und da verbleibt dem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten nur die Wertminderung ohne Umsatzsteuer, weil er die an das Finanzamt abführen muss.
Auch unter den Instanzgerichten wurden beide Ansichten vertreten. Nun hat der BGH entschieden: Im Ergebnis kommt es nicht auf die Wertminderung selbst an, sondern vielmehr auf die Berechnungsgrundlage für die Wertminderung. Dabei geht der BGH davon aus, dass die Wertminderung immer vom Netto-Verkaufspreis ausgehend ermittelt werden muss, ohne dass es auf den Vorsteuerstatus des Geschädigten ankommt.
Sachverhalt aus dem Verfahren VI ZR 205/23:
Das Fahrzeug der vorsteuerabzugsberechtigten Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich beschädigt. Die volle Haftung der beklagten Haftpflichtversicherung stand außer Streit. Eine Sachverständige ermittelte eine Wertminderung in Höhe von 500 Euro. Die Haftpflichtversicherung erstattete einen Betrag in Höhe von 420,17 Euro mit der Begründung, dass ein Abzug in Höhe des Umsatzsteueranteils vorzunehmen sei. Mit der Klage hat die Klägerin die Differenz in Höhe von 79,83 Euro nebst Zinsen geltend gemacht. Das Amts- und Berufungsgericht hatten die Klage abgewiesen.
Entscheidung:
Der BGH hat die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Begründung des BGH lautet:
Der Ersatz des merkantilen Minderwerts unterliegt nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, so dass es missverständlich ist, beim merkantilen Minderwert von einem Brutto- oder Nettominderwert zu sprechen.
Grundlage für die Schätzung des merkantilen Minderwerts ist ein hypothetischer Verkauf des Fahrzeugs. Es wird geschätzt, um wieviel geringer der erzielbare Verkaufspreis bei einem gedachten Verkauf des beschädigten Fahrzeugs nach der Reparatur im Vergleich zum erzielbaren Verkaufspreis ohne die Beschädigung wäre. Dabei ist von Netto-, nicht von Bruttoverkaufspreisen auszugehen.
Denn unabhängig davon, ob der Geschädigte Unternehmer ist oder nicht, wirkt sich die Umsatzsteuer, würde sie überhaupt anfallen, auf die Höhe des merkantilen Minderwerts nicht aus, denn.
- Handelt es sich bei dem gedachten Verkauf um eine der Umsatzsteuer unterliegende Leistung eines Unternehmers gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, so erhält der Geschädigte zwar zusätzlich zum Nettoverkaufspreis die darauf entfallende Umsatzsteuer. Diese stellt sich für ihn aber als durchlaufender Posten dar, da er sie an das Finanzamt abführen muss. Es verbleibt ihm daher nur der Nettoverkaufspreis.
- Unterliegt der Verkauf dagegen nicht der Umsatzsteuer, weil der Geschädigte kein Unternehmer ist (Verkauf “von privat”), darf er dem Käufer keine Umsatzsteuer in Rechnung stellen. Er verkauft daher rechnerisch auch stets „netto“.
Wurde entgegen dem oben genannten Grundsatz der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist er nach unten zu korrigieren und es ist ein dem Umsatzsteueranteil entsprechender Betrag abzuziehen.
Der BGH verdeutlicht das mit folgendem Rechenbeispiel:
Bruttoverkaufspreis ohne Unfall: 15.000 €
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Nettoverkaufspreis ohne Unfall: 12.605,04 €
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Bruttoverkaufspreis mit Unfall: 13.000 €
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Nettoverkaufspreis mit Unfall: 10.924,37 €
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Wertminderung: 2.000 €
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Würde der vorsteuerabzugsberechtigte Geschädigte die Wertminderung von 2.000 € in voller Höhe erhalten, hätte er insgesamt (10.924,37 € + 2.000 € =) 12.924,37 € bekommen. Ohne den Unfall hätte er aber nur 12.605,04 € erhalten. Er hätte also mit dem Unfall 319,33 € mehr zur Verfügung als ohne den Unfall. Das ist genau der Betrag, der dem (gedachten) “Umsatzsteueranteil” des ermittelten Minderwerts von 2.000 € entspricht.
In diesem Umfang steht ihm die Entschädigung aber nicht zu, weil das zu einer Überkompensation führen würde.
Derselbe Bereicherungsbetrag ergibt sich bei einem privaten, nicht vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten, der beim Verkauf seines Fahrzeugs (Verkauf “von privat”) Umsatzsteuer nicht in Rechnung stellen darf. Auch er kann jeweils nur den Nettoverkaufspreis in Rechnung stellen. Die Wertminderung darf er dann auch nicht mit 2.000 €, sondern nur mit 1.680,67 € erhalten, also um 319,33 € geringer.
Eine andere tatsächliche Frage ist es, welche Preise eine Privatperson bei einem Verkauf erzielen würde, insbesondere, ob diese Preise, obwohl netto, betragsmäßig an die von Unternehmern erzielbaren Bruttopreise heranreichen würden.
Letztendlich kommt es darauf an, ob der merkantile Minderwert ausgehend vom Netto- oder vom Bruttoverkaufspreis geschätzt wurde. Nur in letzterem Fall, der bislang der übliche gewesen sein mag, ist ein Abzug in Höhe des dem “Umsatzsteueranteil” entsprechenden Betrags gerechtfertigt.
Nachdem hierzu das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, hat der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Für das Autohaus/Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige sollte bereits im Gutachten klarstellen, auf welcher Basis er die Wertminderung ermittelt hat. Er sollte die Wertminderung künftig nur noch anhand des Netto-Verkaufspreises ermitteln, verbunden mit dem Zusatz „steuerneutral“ hinter dem Wertminderungsbetrag. Zusätzlich sollte er die Berechnungsgrundlage auch im Sachverständigengutachten benennen, beispielsweise wie folgt: „Der merkantile Minderwert unterliegt nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, ist also steuerneutral. Er wurde anhand des Netto-Verkaufspreises ermittelt“.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Die Wertminderung ist zukünftig anhand des Netto-Verkaufspreises zu ermitteln. Es kommt nicht auf den Vorsteuerstatus des Geschädigten und damit nicht darauf an, ob der Geschädigte eine Privatperson oder ein Unternehmen ist. Es gelten für alle die gleichen Spielregeln.