In den letzten drei Newslettern hatten wir uns schon zwei bestimmte Unfallkonstellation angeschaut, die auf Parkplätzen immer wieder vorkommen. Nun wenden wir uns der nächsten und vorläufig auch letzten Situation zu: zwei Fahrzeuge fahren auf ihren jeweiligen Fahrgassen, die sich am Ende im 90 Grad-Winkel kreuzen. Es kommt zur Kollision. Der eine Fahrer behauptet, vorfahrtsberechtigt gewesen zu sein, weil rechts-vor-links gilt. Kann er sich auf diese Regelung berufen?
Gilt rechts-vor-links auf Parkplätzen?
Eine vorfahrtsregelnde Beschilderung findet man Parkplätzen regelmäßig nicht. Damit die Regelung „rechts vor links“ zur Anwendung kommen kann, muss zunächst einmal eine „Kreuzung“ oder „Einmündung“ vorliegen, im Wortsinn also die Schnittfläche mindestens zweier Fahrbahnen sich kreuzender oder aufeinander zulaufender Straßen.
Eine Vorfahrtregel dient im öffentlichen Verkehrsbereich primär dem zügigen Vorankommen und damit der Sicherheit des Verkehrs. Auf Parkplätzen hingegen geht es darum, den verfügbaren Platz möglichst effizient für das Parken zu nutzen und den Verkehr unter Berücksichtigung auch der Fußgängerströme und Ladevorgänge möglichst gefahrlos zu ordnen.
Eine Vorfahrtsituation im Rahmen einer rechts-vor-links-Situation auf Parkplatzgeländen steht nur in Rede, wenn die jeweiligen Fahrwege Straßencharakter aufweisen. Dienen die Fahrwege indessen lediglich dem Besuch von Parkplätzen, fehlt der geforderte straßenähnliche Charakter.
Entscheidend für die Beurteilung, ob die Fahrspuren eindeutigen Straßencharakter haben, sind die baulichen Verhältnisse. Der Verkehrsteilnehmer muss darin typische Straßenmerkmale wiedererkennen. Solche Merkmale können sein:
- Markierungen auf der Fahrbahn (Mittel- und Seitenstreifen, deutliche Abgrenzung zu den Parkboxen, Richtungspfeile, Fußgängerüberwege)
- Bordsteine,
- Straßenlaternen,
- Beschilderung,
- ausreichende Breite der Fahrspuren,
- Asphaltierung (im Gegensatz zu unbefestigter oder gepflasterter Oberfläche),
- Fehlen von Parkboxen entlang der Fahrbahn.
Auch wenn „rechts vor links“ auf einen Parkplatz zur Anwendung kommt, führt dies nicht automatisch dazu, dass der Vorfahrtberechtigte wie im fließenden Verkehr auf die Einhaltung der Vorfahrt vertrauen darf. Denn auf einem Parkplatzgelände dürfen sich die Kraftfahrzeugführer nicht im gleichen Maße wie im fließenden Verkehr auf die Beachtung der StVO verlassen; zudem gilt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme. Somit trifft auch den an sich Bevorrechtigten im Rahmen einer rechts-vor-links-Konstellation eine (mit-)haftungsbegründende gesteigerte Sorgfaltspflicht. Kommt er dieser nicht nach, kann eine Mitverschuldensquote angesetzt werden.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Parkplatzunfälle sind und werden strittig bleiben. Wer haftet, ist oftmals eine Frage des Einzelfalls, auch die Frage, ob rechts-vor-links auf Parkplätzen gilt. Es sollte daher vor Beginn der Reparatur abgeklärt werden, inwieweit eine Haftung der Gegenseite gegeben ist. In diesem Zuge sollte auch immer gleich abgefragt werden, ob der Kunde eine Rechtsschutzversicherung und/oder Vollkaskoversicherung hat, damit der restliche Schaden ggf. über das sog. Quotenvorrecht abgerechnet werden kann. Das ist in vielen Fällen einfacher als ein Gerichtsverfahren.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen gilt dasselbe wie für das Autohaus.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Ist der Geschädigte nach einem Parkplatzunfall mit der zugrunde gelegten Quote nicht einverstanden, kann selbstverständlich Klage eingereicht werden. Hierzu sollte aber eine Rechtschutzversicherung vorhanden sein. Eine andere Möglichkeit ist die Abrechnung über die Vollkaskoversicherung. Sofern eine solche besteht, kann der restliche Schaden unter Zuhilfenahme des sog. Quotenvorrechts (vgl. unser Newsletter 26/2020, das ist eine Kombination von Inanspruchnahme der Haftpflicht- und der Vollkaskoversicherung) abgerechnet werden, so die Reparatur-, Gutachterkosten und die Wertminderung voll erstattet wird, lediglich der Mietwagen/Nutzungsausfall und die Unkostenpauschale wird nach Quote berechnet. Eine Selbstbeteiligung bei der Vollkaskoversicherung fällt nicht an und die Höherstufung wird entsprechend der Quote auch von der gegnerischen Versicherung erstattet.