Es gibt Verkehrsunfälle mit beidseitiger Haftungsquote. Das sind solche, bei denen die Haftungslage nicht „Hundert zu Null“ ist. Hier ist es sinnvoll und legitim, den Schaden sowohl mit dem Vollkaskoversicherer des Geschädigten als auch mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung abzurechnen. Mit dieser Abrechnung kommt der Geschädigte trotz Haftungsanteilen auf beiden Seiten zu einer nahezu vollständigen Regulierung der Unfallschäden. Die kombinierte Abrechnung mit beiden Versicherungen nennt sich „Abrechnung nach Quotenvorrecht“.
Das Quotenvorrecht folgt aus § 86 Abs. 1 S. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Normalerweise gehen gemäß § 86 Abs. 1 S. 1 VVG die Haftpflichtansprüche des Versicherungsnehmers (VN) gegen die Gegenseite auf den Kaskoversicherer über, soweit dieser die geschuldete Versicherungsleistung an den VN erbracht hat. Das Quotenvorrecht gem. § 86 Abs. 1 S. 2 VVG beschränkt diesen Übergang aber, sodass auf den Kasko-Versicherer weniger übergeht, als er geleistet hat. Nur den verbleibenden Rest kann er noch von der Gegenseite fordern. Der Versicherungsnehmer kann dafür entsprechend mehr fordern. Genau darin besteht für ihn der Reiz des Quotenvorrechts.
Typische Beispiele für ein beiderseitiges Mitverschulden bei Verkehrsunfällen sind u.a. Unfälle auf Parkplätzen, bei Fahrstreifenwechsel, an Engstellen, beim Linksabbieger-Überholen und Vorfahrtsfälle.
Eine Abrechnung nach Quotenvorrecht empfiehlt sich also immer dann, wenn von vornherein klar ist, dass eine Mithaftung auf beiden Seiten gegeben ist. Der Geschädigte muss außerdem über eine Vollkaskoversicherung verfügen. Es sollte dann zuerst ein vom Geschädigten beauftragtes Sachverständigengutachten eingeholt werden. Der Vorteil dieses Gutachtens im Gegensatz zum Kaskogutachten liegt darin, dass nur im Haftpflichtgutachten zu Wertminderung und Ausfalldauer Stellung genommen wird.
Dann gibt es zwei Möglichkeiten:
1) Abrechnung zunächst gegenüber der Vollkaskoversicherung
- Die Abrechnung erfolgt anhand des Haftpflichtgutachtens gegenüber der Vollkaskoversicherung – auf Grundlage der Kaskobedingungen unter Abzug des vertraglichen Selbstbehalts. Die Zahlung der Vollkaskoversicherung bringt dann schon einmal Liquidität für den Geschädigten bzw. die Kfz-Werkstatt.
- Danach wird gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung abgerechnet. Diese muss die sog. quotenbevorrechtigten Schadenspositionen voll bezahlen, die anderen nach der Haftungsquote. Quotenbevorrechtigt sind alle Schadenpositionen, die das „Blech am Kfz berührt haben“. Das sind Wertminderung, Gutachterkosten, Abschleppkosten und die Selbstbeteiligung in der Vollkaskoversicherung. Diese Positionen sind von der gegnerischen Haftpflichtversicherung voll zu erstatten. Nicht quotenbevorrechtigt sind die Schadenpositionen „ohne Blechberührung“. Das sind Nutzungsausfallentschädigung oder Mietwagenkosten, Unkostenpauschale und Erstattung des Schadenfreiheitsrabatts. Diese Positionen werden nur nach der Haftungsquote bezahlt.
- Am Ende gibt es noch eine Kontrollrechnung. Die gegnerische Haftpflichtversicherung darf letztendlich nicht höher belastet werden, als es bei einer ausschließlichen ihr gegenüber erfolgenden Haftpflichtschadenabrechnung nach Quote der Fall wäre.
2) Abrechnung zunächst gegenüber der Haftpflichtversicherung
- Das Ganze geht aber auch anders herum: Es kann, sofern die Liquidität nicht das erste Ziel ist und es nach einer höheren Haftungsquote des Gegners aussieht, auch zuerst mit der Haftpflichtversicherung abgerechnet werden. Es ist dann die materiell-rechtliche Haftungsquote zu bestimmen, nach derer die Haftpflichtversicherung alle Schadenspositionen quotal reguliert.
- In einem zweiten Schritt wird die Vollkaskoversicherung aufgefordert, die quotenbevorrechtigten Positionen (Reparaturkosten/Totalschaden, Wertminderung, Gutachterkosten, Abschleppkosten) abzgl. der Zahlung der Haftpflichtversicherung zu zahlen. Eine Selbstbeteiligung kann nicht in Abzug gebracht werden.
- Auch hier gibt es am Ende eine Kontrollrechnung: Die Vollkaskoversicherung darf letztendlich nicht mehr zahlen als in einem reinem Kaskofall: Nämlich Reparaturkosten/Totalschaden abzgl. Selbstbehalt.
Diese Abrechnungsform ist eine der schwierigsten in der Unfallregulierung.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Trifft Geschädigten bei einem Unfall ein Mitverschulden, sollte das Autohaus dem Geschädigten immer anwaltliche Hilfe empfehlen. Schon die Bestimmung der Haftungsquote ist stets eine Sache für einen qualifizierten Anwalt. Hat der Kunde eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen, sollte das Autohaus den Kunden auf die Möglichkeit der kombinierten Abrechnung nach dem Quotenvorrecht hinweisen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Durch eine Abrechnung nach Quotenvorrecht erhält auch der Sachverständige sein Honorar trotz Mithaftung des Geschädigten komplett erstattet.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Trifft den Geschädigten ein Mitverschulden am Unfall und hat dieser eine Vollkaskoversicherung, empfiehlt es sich, den Unfall sowohl mit der Vollkasko- als auch der Haftpflichtversicherung nach dem sog. Quotenvorrecht abzurechnen. Dadurch kommt der Geschädigte trotz Mithaftungsanteil zu einer nahezu vollständigen Regulierung des Unfallschadens.