

In unserem letzten Newsletter 08/2022 hatten wir uns eine bestimmte Unfallkonstellation angeschaut, die auf Parkplätzen immer wieder vorkommt: zwei Fahrzeuge parken gleichzeitig aus gegenüber liegenden Parkbuchten rückwärts aus. Heute beleuchten wir folgende Unfallsituation: Ein Fahrzeug fährt vorwärts in der Fahrgasse, ein anderes parkt rückwärts aus und es kommt zur Kollision. Wer haftet in diesem Fall?
Ein Fahrzeug fährt vorwärts in der Fahr-/Parkgasse, ein anderes parkt rückwärts aus
Auf einem Parkplatz trifft grundsätzlich beide Verkehrsteilnehmer die Pflicht zu gesteigerter Rücksichtnahme. Kommt es zu einem Zusammenstoß, dürfte diese Pflicht von beiden verletzt worden sein, sodass oft eine Schadensteilung vorzunehmen sein wird.
Nachdem aber ein Fahrzeug auf der Fahrgasse vorwärtsfährt, trifft die überwiegende (und manchmal auch alleinige) Haftung den anderen, rückwärtsfahrenden Verkehrsteilnehmer, wenn dem Vorwärtsfahrenden ansonsten kein Mitverschuldensvorwurf gemacht werden kann.
Ein Mitverschulden des Vorwärtsfahrenden kann insbesondere darin bestehen, dass dieser nicht mit der auf Parkplätzen gebotenen Schrittgeschwindigkeit fährt, und somit nicht sofort brems- und anhaltebereit ist.
Liegt kein Mitverschulden des Vorwärtsfahrende vor, ist zu prüfen, ob die Betriebsgefahr zurücktritt oder als unfallursächlich verwirklicht in Ansatz gebracht wird.
Die Betriebsgefahr besteht verschuldensunabhängig für die Gefahren, die beim Betrieb von einem Kraftfahrzeug ausgehen. Sie ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Die Betriebsgefahr ist nicht zu berücksichtigen, wenn der Unfall für den Fahrer unvermeidbar war. Der Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfalles geltend machen will, muss sich wie ein „Idealfahrer“ verhalten haben.
Die Betriebsgefahr in Höhe von 20 bis 25 % ist dann eher in Ansatz zu bringen, wenn der Schaden beim Vorwärtsfahrenden vorne eingetreten ist, er also das Herausfahren des anderen „gesehen“ haben könnte. Dann hätte ein Idealfahrer nämlich noch abbremsen können. Wenn der Schaden im mittigen und hinteren Bereich des Vorbeifahrenden liegt, er somit am Rückwärtsfahrenden fast vorbeigefahren war, dürfte die alleinige Haftung beim Rückwärtsfahrenden liegen.
Die Rechtsprechung ist auch zu dieser Situation umfangreich, nicht immer einheitlich und letztendlich ist die Bildung der Quote eine Sache des Einzelfalls, was auch nachfolgende Urteile zeigen:
- AG Hannover, Urteil vom 30.6.2020, Az. 401 C 8385/18:
Kommt es auf einem Parkplatzgelände zur Kollision zwischen einem rückwärts aus einer Parkbox ausparkenden Pkw und einem die Fahrgasse mittig befahrenden Fahrzeug, welches deutlich oberhalb der gebotenen Schrittgeschwindigkeit geführt wird (knapp 30 km/h), ist eine Haftungsverteilung von 70:30 zulasten des Ausparkenden sachgerecht.
- AG Hamburg, Urteil vom 7.2.2020, Az. 23 a C 121/18
Mit Rücksicht auf rangierende Fahrzeuge muss insofern auch der die Fahrgasse zwischen den Parkplatzreihen Befahrende stets bremsbereit sein; auch in der Fahrgasse kann daher Schrittgeschwindigkeit geboten sein. Eine Geschwindigkeit von 10 km/h kann nach diesen Grundsätzen im Einzelfall zu hoch sein und zu einer Mithaftung des die Fahrgasse befahrenden Verkehrsteilnehmers von 40 % führen, wenn er in Vorwärtsfahrt mit einem rückwärts aus einer Parktasche herausfahrenden Pkw kollidiert.
- AG Pinneberg, Urteil vom 22.8.2019, Az. 69 C 91/18
Auf Parkplätzen muss stets vorsichtig und mit Schrittgeschwindigkeit gefahren werden. Kommt es zu einer Kollision zwischen einem rückwärts ausparkenden Pkw und einem die Fahrgasse oberhalb der Schrittgeschwindigkeit (10–15 km/h) und nicht möglichst weit rechts fahrenden Fahrzeug, ist daher eine hälftige Schadenteilung sachgerecht.
- AG Hamburg, Urteil vom 4.10.2018, Az. 16 C 15/1
Kommt es zwischen einem rückwärts aus einer Parkbox herausfahrenden Pkw und einem die Fahrgasse in Schrittgeschwindigkeit befahrenden Fahrzeug zur Kollision, haftet der Rückwärtsfahrer allein, wenn ein unfallursächliches Mitverschulden des anderen nicht festgestellt werden kann.
- LG Berlin, Urteil vom 8.3.2016, Az. 43 S 104/15
Kommt es auf einem Parkplatz, auf dem alle Fahrzeugführer zur gegenseitigen Rücksichtnahme gemäß § 1 StVO verpflichtet sind, zu einer Kollision zwischen einem rückwärts aus einer Parklücke ausfahrenden Fahrzeug und einem vorwärtsfahrenden Pkw, so steht dem erheblichen Verschulden des Rückwärtsfahrenden die Betriebsgefahr des vorbeifahrenden Fahrzeugs gegenüber, die jedoch nicht erhöht und daher nur mit 20 % anzusetzen ist.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Das Autohaus sollte wissen, dass bei Parkplatzunfällen fast immer mit einer Quote zu rechnen ist. Es sollte daher vor Beginn der Reparatur auch abgeklärt werden, ob der Kunde eine Vollkaskoversicherung hat, damit der restliche Schaden ggf. über das sog. Quotenvorrecht (vgl. unser Newsletter 26/2020) abgerechnet werden kann. Das ist in vielen Fällen einfacher als ein Gerichtsverfahren.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen gilt dasselbe wie für das Autohaus.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Ist der Geschädigte auf dem Parkplatz vorwärtsgefahren und mit einem rückwärts Ausparkenden kollidiert, sieht es für ihn grundsätzlich schon einmal ganz gut aus. Ob er mithaftet, hängt davon ab, ob ihm ein Mitverschulden vorgeworfen werden kann, zum Beispiel, weil er zu schnell gefahren ist. Ist dies nicht der Fall, ist in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob die Betriebsgefahr anzusetzen ist.