Ein Auto wird bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall an einer Stelle beschädigt wird, an der schon ein Vorschaden war – das führt oft zu Komplikationen in der Unfallregulierung. Aufgrund des HIS – das Hinweis- und Informationssystem der Versicherungen – kennen die Versicherer inzwischen wohl jeden Vorschaden, der in den letzten Jahren mit einem Versicherer abgerechnet worden ist. Deswegen sollte der Geschädigte einen Vorschaden dem Sachverständigen gegenüber angeben, damit dieser bei der Ermittlung der Reparaturkosten oder des Wiederbeschaffungswerts berücksichtigen werden kann.
Was aber, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug in unbeschädigtem Zustand erworben hat und von einem Vorschaden keine Kenntnis hat? Diese Frage hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 15.10.2019, Az. VI ZR 377/18, beantwortet.
Sachverhalt:
Der Kläger hatte seinen im September 2013 zum Preis von 25.500 Euro erworbenen Maserati im Dezember 2013 in einer Tiefgarage abgestellt. Das danebenstehende Fahrzeug, ein VW Bus, geriet aufgrund eines technischen Defektes in Brand, so dass auch der Maserati vollständig ausbrannte. Der Kläger machte daraufhin Schadensersatzansprüche bei der Haftpflichtversicherung des VW Busses geltend. Die beklagte Haftpflichtversicherung hat ein Gutachten vorgelegt, aus dem sich ein Unfallschaden mit wirtschaftlichem Totalschaden des Maserati aus dem Juli 2013 ergab. Der Kläger hat behauptet, dass ihm ein Vorschaden nicht bekannt sei und er nichts dazu sagen könne, wann wer was an dem Fahrzeug repariert habe. Der Kläger gab den Verkäufer und seine Ehefrau als Zeugin an, die beim Erwerb des Fahrzeugs dabei war, sowie einen sachkundigen Bekannten, der ein ähnliches Fahrzeug führt und den Maserati genau überprüft hat und keinen Schaden hat feststellen können.
Das Landgericht lehnte die Klage ab, das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen wandte sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
Entscheidung:
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hatte Erfolg und führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Begründet wurde dies vom BGH wie folgt:
Das Berufungsgericht hat den Kläger in seinem aus Art. 103 I GG folgenden Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Es hat die an eine hinreichende Substanziierung des Klagevortrags zu stellenden Anforderungen überspannt und den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis zu Unrecht nicht erhoben.
Nach allgemeinen Regeln ist es Aufgabe des Klägers, das Entstehen und den Umfang eines Sachschadens darzulegen und zu beweisen. Zwar kommt dem Kläger insoweit § 287 ZPO zugute, der dem Geschädigten nicht nur die Beweisführung, sondern auch die Darlegung erleichtert. Der Richter darf demnach den Schaden schätzen, aber auch dafür benötigt der Tatrichter greifbare Tatsachen, die der Geschädigte im Regelfall im Einzelnen darlegen und beweisen muss.
Soweit der Geschädigte behauptet, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und die beschädigte Sache in unbeschädigtem Zustand erworben zu haben, kann es ihm aber nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Er ist deshalb grundsätzlich nicht gehindert, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen.
Danach hätte das Berufungsgericht die vom Kläger angebotenen Zeugenbeweise nicht mit der Begründung zurückweisen dürfen, der Kläger hätte die unternommenen Reparaturmaßnahmen im Einzelnen darlegen und durch Vernehmung der an der Reparatur beteiligten Zeugen unter Beweis stellen müssen.
Der BGH hat damit entgegen der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung festgehalten, dass bei unbekannten Vorschäden an die Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen. Wie weit eine Partei ihren Sachvortrag darlegen müsse, hänge von ihrem Kenntnisstand ab. Damit wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass die Kenntnisse von vornherein ungleich verteilt sind. Denn während die Versicherer die meisten Vorschäden durch das HIS-System vor jeder Schadensregulierung automatisch abrufen und auch die Gutachten zu diesen Vorschäden austauschen können, bleibt den Geschädigten diese Möglichkeit verschlossen.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Dem Geschädigte eines Verkehrsunfalls, der von einem Vorschaden keine Kenntnis und den beschädigten Pkw in unbeschädigtem Zustand erworben hat, kann eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die er kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Er kann daher die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur des Vorschadens behaupten und unter Zeugenbeweis stellen. Darin liegt weder eine Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht noch ein unzulässiger Ausforschungsbeweis.