

Liegt am Fahrzeug des Geschädigten nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall ein Totalschaden vor, erhält der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung als Schadensersatz grundsätzlich den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwerts (den sog. Wiederbeschaffungsaufwand) erstattet. Beide Werte legt der Sachverständige in seinem Gutachten fest.
Reparaturkosten im 130 % Bereich
Dem Geschädigten ist es möglich, eine Reparatur durchzuführen, wenn die Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert liegen – nämlich innerhalb der sog. 130 %-Grenze. Liegen die Reparaturkosten zuzüglich einer etwaigen merkantilen Wertminderung bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert, kann der Geschädigte diese verlangen, wenn er sein Fahrzeug vollständig und fachgerecht reparieren lässt und er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiter nutzt (vgl. BGH, Urteil vom 15.02.2005, Az. VI ZR 70/04).
Reparaturkosten oberhalb der 130 %-Grenze
Was aber ist, wenn der Geschädigte auch bei geschätzten Reparaturkosten über der 130 %-Grenze reparieren lassen will? Das kann beispielsweise vorkommen, wenn der Geschädigte sein Auto schon sehr lange hat, dieses sehr gepflegt ist und er an das Auto gewohnt ist und kein anderes fahren möchte. Der Wiederbeschaffungswert solcher älteren Autos ist relativ niedrig und die Reparaturkosten überschreiten schnell die 130 %-Grenze. Kann der Geschädigte dann trotzdem die Reparaturkosten geltend machen?
Grundsätzlich gilt:
Lässt der Geschädigte sein Fahrzeug reparieren und liegen die tatsächlichen Reparaturkosten über 130 % des Wiederbeschaffungswertes, hat er nur Anspruch in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwandes im Rahmen der Totalschadenabrechnung (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.1991, Az. VI ZR 67/91, und Urteil vom 08.12.2009, Az. VI ZR 119/09).
Es gibt aber eine Ausnahme:
Der Geschädigte kann Ersatz der angefallenen Reparaturkosten verlangen, wenn es ihm entgegen der vom Sachverständigen auf über 130 % geschätzten Reparaturkosten tatsächlich gelingt, die Reparatur innerhalb der 130 %-Grenze durchzuführen. Wichtig ist aber, dass eine fachgerechte und den Vorgaben des Sachverständigen entsprechende Reparatur durchgeführt wird (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2021, Az. VI ZR 100/20). Das kann gelingen, wenn mit altersentsprechenden Gebrauchtteilen oder in einer freien Werkstatt zu Stundenverrechnungssätzen, die unterhalb denen einer markengebundenen Fachwerkstatt liegen, repariert wird. Wird dagegen ein Austausch von im Gutachten enthaltenen Ersatzteilen nicht vorgenommen und liegen die Reparaturkosten deshalb unter der 130 %-Grenze, bleibt dem Geschädigten nur die Totalschadensabrechnung. Selbst wenn die Reparatur keine optischen Mängel aufweisen sollte, erfolgte sie nicht entsprechend den Vorgaben des Sachverständigen (vgl. BGH, Urteil vom 02.06.2015, Az. VI ZR 387/14).
Zudem muss der Geschädigte nachweisen, dass die tatsächlich durchgeführte Reparatur wirtschaftlich nicht unvernünftig war. Wirtschaftlich vernünftig ist die Reparatur nach Ansicht des BGH nicht, wenn die Fachwerkstatt dem Kläger einen erheblichen Rabatt gewährt, demzufolge der Rechnungsendbetrag knapp unter der 130 %-Grenze liegt und der Geschädigte nicht vorträgt, was der Grund für die Gewährung dieses Nachlasses war (vgl. BGH, Urteil vom 08.02.2011, Az. VI ZR 79/10).
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Sollte das Autohaus auf Wunsch eines Kunden dessen Auto reparieren, obwohl die vom Gutachter geschätzten Reparaturkosten über 130 % des Wiederbeschaffungswertes liegen, ist dies möglich. Dann muss aber fachgerecht und komplett nach den Vorgaben des Sachverständigen repariert werden. Dabei dürfen Gebrauchtteile verwendet werden oder freie Werkstätten ihre Stundenverrechnungssätze zugrunde legen, die unterhalb der vom Gutachter kalkulierten Sätzen der Markenwerkstatt liegen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls, dessen Fahrzeug einen Totalschaden hat, bei dem die geschätzten Reparaturkosten über 130 % des Wiederbeschaffungswerts liegen, kann in seltenen Fällen die Reparaturkosten bei der gegnerischen Versicherung geltend machen. Er muss nach den Vorgaben des Gutachters fachgerecht reparieren, darf aber günstigere Gebrauchtteilen verwenden oder bei einer freien Werkstatt reparieren lassen, die günstigere Stundesätzen hat als diejenigen der Markenwerkstatt im Gutachten. In der Summe müssen dann die tatsächlichen Reparaturkosten unterhalb von 130 % des Wiederbeschaffungswertes liegen.