

Kollisionen auf Parkplätzen sind eigentlich wenig „dramatisch“: Personen kommen in der Regel nicht zu Schaden, meist geht es nur um ein paar Beulen am Fahrzeug. Dennoch sind diese Unfälle in aller Regel sehr ärgerlich und führen oft zur Haftung beider Beteiligten. Auch ist meist jeder der Beteiligten der Meinung, nicht schuld gewesen zu sein. Eine typische Konstellation ist dabei folgende: Zwei Fahrzeuge fahren auf ihren jeweiligen Fahrgassen, die sich am Ende im 90 Grad-Winkel kreuzen. Es kommt zur Kollision. Der eine Fahrer behauptet, vorfahrtsberechtigt gewesen zu sein, weil rechts-vor-links gilt. Kann er sich auf diese Regelung berufen?
Gilt rechts-vor-links auf Parkplätzen?
Zu dieser Frage gab es bereits viele Urteile der Instanzgerichte, nun hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) damit befasst, und zwar in seinem Urteil vom 22.11.2022, Az. VI ZR 344/21.
Sachverhalt:
Der Kläger macht Schadenersatz für die Beschädigung seines Pkws nach einem Unfall auf dem Parkplatz eines Baumarktes geltend. Auf diesem gibt es Markierungen auf dem Asphalt für die einzelnen Parkbuchten. Die sich teilweise kreuzenden Fahrspuren sind nicht abweichend gepflastert, so dass man Fahrbahnen hätte erkennen können. Eine Beschilderung zur Regelung der Vorfahrt oder Fahrbahnmarkierungen gibt es nicht. Kläger und Beklagter bewegten sich auf solchen Fahrspuren aufeinander zu, der Kläger kam dabei gegenüber dem Beklagten von rechts. Beide konnten sich erst spät sehen, weil ein Sattelzug die Sicht einschränkte.
Das Amtsgericht hatte dem Kläger Schadenersatz in Höhe von 70 % zugesprochen. Wegen der fehlenden 30 % ging der Kläger erfolglos in die Berufung. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Meinung, es liege ein Verstoß gegen § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO vor, weil er von rechts kam und an Kreuzungen und Einmündungen Vorfahrt habe. Dies gelte auch auf Parkplätzen. § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO lautet: „An Kreuzungen und Einmündungen hat die Vorfahrt, wer von rechts kommt.“
Entscheidung:
Der Kläger hatte keinen Erfolg. Die Revision ist unbegründet.
Die Regeln der StVO sind auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar, so dass Nutzer des Parkplatzes das sich aus § 1 StVO ergebende Gebot wechselseitiger Rücksichtnahme beachten müssen.
Der BGH hatte sich bislang nicht dazu geäußert, ob auch die Vorfahrtregelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO auf einem öffentlichen Parkplatz zur Anwendung kommt. Nun hat er – so war es auch die überwiegende Meinung bisher unter den Gerichten – entschieden, dass die Vorfahrtsregelung nur dann gilt, wenn beide aufeinanderstoßende Fahrspuren einen eindeutigen Straßencharakter aufweisen. Ansonsten müssen sich die Beteiligten über die Vorfahrt verständigen.
Damit kommt die rechts-vor-links Regelung auf öffentlichen Parkplätzen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO zur Anwendung, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukommt.
Denn: Eine Vorfahrtsregel dient im öffentlichen Verkehrsbereich primär dem zügigen Vorankommen und damit der Sicherheit des Verkehrs. Ein Parkplatz hingegen ist als Ganzes betrachtet keine Straße, sondern eine Verkehrsfläche, die grundsätzlich in jede Richtung befahren werden darf. Die vorhandenen Fahrspuren dienen typischerweise nicht der zügigen Abwicklung des fließenden Verkehrs, sondern zum Ein- und Ausparken, Rangieren und Be- und Entladen. Es muss auf ein- und ausparkende Autofahrer Rücksicht genommen werden. Zudem werden die Fahrbahnen auch von Fußgängern genutzt, so dass nur mit geringer Geschwindigkeit gefahren werden darf. Ein eindeutiger Straßencharakter liegt nur dann vor, wenn sich aus der baulichen Gestaltung der Fahrspuren für den Verkehrsteilnehmer unmissverständlich ergibt, dass beide Fahrspuren nicht der Erschließung der Parkflächen, sondern in erster Linie der Zu- und Abfahrt und damit dem fließenden Verkehr dienen.
Letztendlich kommt es damit auf den Einzelfall und die Verhältnisse vor Ort an: Erkennt man deutlich eine Straße? Oder dient die zwischen den Parkbuchten gebildete Fläche lediglich dem Rangieren und Auffinden oder Verlassen eines Parkplatzes?
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Parkplatzunfälle sind und werden strittig bleiben. Wer haftet, ist oftmals eine Frage des Einzelfalls, auch die Frage, ob rechts-vor-links auf Parkplätzen gilt. Es sollte daher vor Beginn der Reparatur auch abgeklärt werden, ob der Kunde eine Vollkaskoversicherung hat, damit der restliche Schaden ggf. über das sog. Quotenvorrecht (vgl. unser Newsletter 26/2020) abgerechnet werden kann.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen gilt dasselbe wie für das Autohaus.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Am besten ist es, wenn beide Autofahrer auf einem Parkplatz aufeinander Rücksicht nehmen und sich über die Vorfahrt verständigen. Auch wenn – so der BGH in seinem Urteil – die Verständigung oftmals nach der eingeschliffenen Regel rechts-vor-links erfolgt und viele Verkehrsteilnehmer von der Geltung dieser Regel ausgehen, hat der von links kommende Kraftfahrer keine höhere Sorgfaltspflicht. Allerdings muss er damit rechnen, dass sich der von rechts Kommende – irrigerweise – für vorfahrtberechtigt hat. Nichtsdestotrotz wird der von rechts Kommende nicht privilegiert. Es dürfte daher grundsätzlich bei einem Unfall in dieser Konstellation zu einer Quote von 50 zu 50 kommen.