

Werkstattrisiko übertragbar auf andere Schadensersatzpositionen?
Seit nunmehr einem Jahr können sich Unfallgeschädigte bzgl. der Erstattungsfähigkeit von Reparaturkosten auf das Werkstattrisiko, das der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteilen vom 16. 01.2024, Az. VI ZR 38/22, VI ZR 239/22, VI ZR 253/22, VI ZR 266/22 und VI ZR 51/23, festgehalten hat, berufen. Im März 2024 hatte der BGH dann ähnlich bzgl. der Erstattung der Sachverständigenkosten entschieden (Urteil vom 12.03.2024, Az. VI ZR 280/22) und den Begriff des Sachverständigenrisikos geprägt. Kann diese Rechtsprechung auch auf andere Schadenpositionen übertragen werden?
Ja, denn im BGH-Urteil zu den Gutachterkosten findet sich folgende Formulierung: „Dies gilt für alle Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung, deren Entstehung dem Einfluss des Geschädigten entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.“
Und auf welche Schadenpositionen trifft das zu?
Hilfestellung der Werkstatt für Gutachter (Hebebühne)
Nach einem Unfall muss der Sachverständige in bestimmten Fällen das beschädigte Fahrzeug von unten begutachten. Dafür wird es auf eine Hebebühne verbracht. Nicht jeder Sachverständige verfügt aber über eine eigene Hebebühne – der Sachverständige besichtigt das Auto meistens in der Werkstatt, die ihm eine Hebebühne zur Verfügung stellt. Hierfür entstehen Kosten, die auf zweierlei Art und Weise berechnet werden können:
- Wenn ein Auftrag vom Geschädigten an das Autohaus vorliegt, dem Sachverständigen eine Hebebühne zur Verfügung zu stellen, können diese Kosten vom Autohaus direkt dem Geschädigten in Rechnung gestellt werden. Hier liegt ein Fall des Werkstattrisikos vor. Denn der Geschädigte hat keinen Einfluss auf den getriebenen Aufwand und die Höhe der Kosten. Es muss Zahlung an das Autohaus/Werkstatt, Zug um Zug gegen Abtretung der Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen das Autohaus/Werkstatt an den Versicherer, verlangt werden.
- Es ist aber auch ein anderer Weg möglich: Die Werkstatt berechnet dem Sachverständigen die Kosten für die Hebebühne und dieser nimmt die Kosten mit in seine Gutachterrechnung an den Geschädigten auf. Als Nachweis kann die Fremdrechnung der Werkstatt beigefügt werden. Diese Variante ist dann, da der Geschädigte auch bei diesem Abrechnungsweg keinen Einfluss hat, ein Fall des Sachverständigenrisikos. Es muss Zahlung an den Sachverständigen, Zug um Zug gegen Abtretung der Rückforderungsansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen an den Versicherer, verlangt werden.
Reinigungskosten, Probefahrt, etc.
Ist das Werkstattrisiko und der subjektbezogene Schadensbegriff anwendbar, sind die diversen „kleinen Schadenpositionen“ für den Geschädigten als nachvollziehbar zu betrachten, zumal wenn diese sich auch im Schadengutachten wiederfinden, so das Landgericht Duisburg in seinem Urteil vom 16.01.2025, Az. 11 S 28/24. In diesem Urteil ging es um Kosten für die Fahrzeugreinigung, die Probefahrt, Entsorgungskosten und Energiekosten für Sicherheitsmaßnahmen für eine Ofentrocknung. Ebenso hat das Amtsgericht Wagen mit Urteil vom 14.02.2025, Az. 4 C 198/24, bzgl. der „Probefahrtkosten“ entschieden.
Allerdings:
Seit dem Desinfektionskostenurteil des BGH vom 23.04.2024, Az. VI ZR 348/21, trifft den Geschädigten eine Verpflichtung zu einer gewissen Plausibilitätskontrolle der von der Werkstatt berechneten Preise. Sind diese für den Geschädigten erkennbar deutlich überhöht sind, kann sich die Beauftragung dieser Werkstatt als nicht erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erweisen (Auswahlverschulden). Das hat dann zur Folge, dass sich der Geschädigte nicht auf das Werkstattrisiko berufen kann. In diesem Fall hat der BGH Desinfektionskosten in Höhe von 158 Euro als überhöht angesehen und einen Betrag von 33 Euro, den das Berufungsgericht als angemessen betrachtet hat, „gehalten“.
Es kommt daher darauf an, ob der Geschädigte bei den jeweiligen Positionen wissen muss, was diese üblicherweise kosten dürfen.
Verbringungskosten von 135 bis 165 Euro brutto hat beispielsweise das Amtsgericht Berlin-Mitte Kosten nicht für überhöht angesehen (Urteil vom 11.07.2024, Az. 122 C 364/23 V). Denn die Verbringung sei letztendlich der Transport eines Fahrzeugs auf einem Transportfahrzeug von A nach B. So sei in Berlin das Umsetzen von Falschparkern durch die Polizei, die nicht gewinnorientiert arbeitet, deutlich teurer.
Die Reinigungskosten können mit den Kosten einer Fahrzeugwäsche in der Waschanlage verglichen werden. Hierbei handelt es sich um eine Alltagserfahrung, die jeder typische Geschädigte schon einmal gemacht hat. Der Geschädigte wird wissen, dass eine Fahrzeugwäsche in der Waschanlage kaum mehr als 20 Euro kostet. Wenn die Fahrzeugreinigung durch das Autohaus in einem Haftpflichtfall dann nahe bei 100 Euro liegt, passt dies nicht zu der Alltagserfahrung.
Auch bei der Hebebühne gibt es eine Alltagserfahrung. Bei einem kompletten Winter-/Sommerräderwechsel wird das Fahrzeug ebenso auf die Hebebühne verbracht. Beim Räderwechsel fallen jedoch noch einige weitere Arbeitspositionen an als nur das Bereitstellen der Hebebühne. Im Schnitt zahlt der Kunde für den reinen Radwechsel abhängig von Werkstatt und Region zwischen 25 Euro und 45 Euro, in Kombination mit dem Wuchten oder der Einlagerung entstehen Kosten zwischen 80 Euro und 100 Euro. Nur das Verfügungsstellen der Hebebühne in einem Haftpflichtfall daher mit 150 bis 250 Euro zu bepreisen, dürfte daher ebenso der Alltagserfahrung widersprechen und laienerkennbar überhöht sein.
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Für das Autohaus/Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Das Autohaus berechnet dem Geschädigten nicht nur die Reparaturkosten, sondern manchmal auch andere Positionen wie die Bereitstellung der Hebebühne Auch bei diesen Positionen kann sich der Geschädigte auf das Werkstattrisiko berufen und er erhält die Kosten erstattet. Allerdings muss er gegebenenfalls bestehende Ansprüche gegen das Autohaus im Rahmen des Vorteilsausgleichs an den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung abtreten. Aus dieser Abtretung kann die Versicherung dann gegen das Autohaus im Wege des Regresses vorgehen und die Kosten für nicht durchgeführte oder nicht erforderliche Arbeiten zurückfordern.
Für einen eventuellen Regress der Haftpflichtversicherung sollte das Autohaus vorbereitet sein und den Auftrag des Geschädigten mit dem genauen Auftragsumfang und gegebenenfalls die Durchführung besonders strittiger und von den Versicherungen oft angegriffenen Positionen dokumentieren.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Die Geschädigte kann sich nicht nur bei den Reparaturkosten auf das sog. Werkstattrisiko berufen, sondern bei allen Schadensersatzpositionen, auf deren Entstehung und Höhe er keinen Einfluss hat, weil er die Abwicklung in die Hände Dritter gegeben hat. Das Werkstattrisiko gilt somit bei den auch bei den Kosten für die Nutzung der Hebebühne. Im Rahmen des Vorteilsausgleichs muss der Geschädigte, sofern er die Rechnung noch nicht bezahlt hat, Zahlung an den jeweiligen Rechnungsaussteller, Zug um Zug gegen Abtretung eventueller Rückforderungsansprüche gegen den Rechnungsaussteller aus der jeweiligen Rechnung, verlangen.
Allerdings ist der Geschädigte bei solchen Rechnungspositionen, bei denen er vergleichbare Preise aus dem Alltag kennt (wie Fahrzeugwäsche, Hebebühne) zu einer Plausibilitätsprüfung verpflichtet. Sind die im Haftpflichtfall berechneten Preise erkennbar überhöht, kann sich der Geschädigte nicht auf das Werkstattrisiko berufen.