Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall wendet sich der Geschädigte normalerweise an die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers und macht dort seine Ansprüche geltend. In seltenen Fällen kann es dann vorkommen, dass ihm die Haftpflichtversicherung mitteilt, dass er mit seinem Vollkaskoversicherer abrechnen müsse. Die Versicherung beruft sich dabei auf eine Regelung aus dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG). Das ist zwar eher eine Ausnahme, aber trotzdem stellt sich die Frage:
Kann die Haftpflichtversicherung den Geschädigten, der am Unfall nicht schuld ist, auf seine Vollkaskoversicherung verweisen?
Ja, und zwar dann, wenn der gegnerische Haftpflichtversicherer wegen eines gestörten Versicherungsverhältnisses gegenüber seinem eigenen Versicherungsnehmer (VN), also dem Schädiger, leistungsfrei ist. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn der VN nachhaltig die Versicherungsprämie nicht gezahlt hat oder das Versicherungsverhältnis mit falschen Angaben betrügerisch erschlichen hat.
Allerdings ist der Geschädigte geschützt. Selbst wenn die Haftpflichtversicherung im Innenverhältnis gegenüber ihrem VN von der Leistungspflicht befreit ist, entbindet das im Normalfall den Versicherer nicht von der Zahlung im Außenverhältnis. Sofern das Fahrzeug des Schädigers ordnungsgemäß zugelassen ist, muss sich der Geschädigte darauf verlassen können, dass das Fahrzeug auch haftpflichtversichert ist. So sehen es die Vorschriften des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG) vor: In § 1 PflVG ist geregelt, dass Halter von Kraftfahrzeugen oder Anhängern, die auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen verwendet werden, eine Kfz-Haftpflichtversicherung abschließen müssen.
Eine Ausnahmeregelung zugunsten des Haftpflichtversicherers gibt es jedoch, und zwar in § 117 Abs. 3 Satz 2 VVG. Danach ist die Versicherung leistungsfrei, soweit der Dritte Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer verlangen kann.
Wenn der Geschädigte also eine Vollkaskoversicherung hat, kann die gegnerische – von der Störung des Vertrags im Innenverhältnis betroffene – Haftpflichtversicherung den Geschädigten auf die Inanspruchnahme dessen Kaskoversicherung verweisen. Was im ersten Moment für Verwunderung beim Geschädigten sorgt, stellt sich aber als halb so schlimm dar. Die Vollkaskoversicherung reguliert dann die Reparatur- und die Abschleppkosten bzw. den Totalschaden. Die Positionen, die die Vollkaskoversicherung nicht erstattet, muss die Haftpflichtversicherung der Gegenseite übernehmen. Das sind in der Regel: Selbstbeteiligung, Wertminderung, Sachverständigenhonorar, Mietwagen oder Nutzungsausfall, Unkostenpauschale. Und somit wird die Haftpflichtversicherung im Ergebnis nur zum Teil entlastet.
Hinzu kommt, dass der Vollkaskovertrag des Geschädigten im Schadenfreiheitsrabatt unberührt bleibt, wenn die Vollkaskoversicherung nur deswegen in Anspruch genommen wird, weil gegenüber der Haftpflichtversicherung aufgrund versagten Versicherungsschutzes kein Anspruch besteht. Mithin hat der Geschädigte auch hier keinen Nachteil.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
In seltenen Fällen kann es vorkommen, dass die Regulierung des Unfalls auch bei einer Alleinschuld des Geschädigten sowohl über die Vollkaskoversicherung des Geschädigten als auch über die Haftpflichtversicherung der Gegenseite erfolgt. Das erinnert in Grundzügen an die Abrechnung nach Quotenvorrecht, die immer dann zum Zuge kommen sollte, wenn ein Mitverschulden des Geschädigten vorliegt. Von beiden, durchaus komplizierteren Abrechnungsmöglichkeiten sollte das Autohaus schon einmal gehört haben und dann die entsprechenden Fachleute zu Rate ziehen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Sollte die gegnerische Haftpflichtversicherung den Geschädigten auf dessen eigene Vollkaskoversicherung verweisen, bekommt der Geschädigte die Rechnung über das Sachverständigenhonorar trotzdem von der Haftpflichtversicherung erstattet. Der Sachverständige erhält damit sein Honorar im Rahmen des Schadenersatzanspruchs des Geschädigten wie sonst auch von der gegnerischen Haftpflichtversicherung.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte bzw. dessen Rechtsanwalt sollte wissen, dass ein Verweis auf die Vollkaskoversicherung durch die gegnerische Haftpflichtversicherung in Ausnahmefällen zulässig sein kann. Der Geschädigte kann aber dann alle von der Vollkaskoversicherung nicht regulierten Ansprüche von der gegnerischen Haftpflichtversicherung beanspruchen.