Nach einem Unfall ist der Schock groß, besonders, wenn Kinder im Auto waren. Sind alle gesund geblieben, stellt sich unter anderem die Frage, was mit dem (beschädigten) Kindersitz nach dem Unfall passiert. Muss ein Austausch erfolgen? Und wenn ja – ist der Zeitwert oder der komplette Anschaffungspreis eines neuen Kindersitzes zu ersetzen?
Der beschädigte Kindersitz ist eine Schadensposition, die die gegnerische Haftpflichtversicherung nach einem unverschuldeten Unfall nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erstatten muss.
Schutzausrüstung wie Kindersitze, Helme und Schutzkleidung schützen aber nur in ihrem ganzen Ausmaß, wenn sie komplett unbeschädigt sind. Schon kleine Verformungen und Haarrisse können eine Einschränkung in der Sicherheit bewirken. So fordert die ECE-Regelung Nr. 44 (Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der „Kinderrückhaltesysteme“) in Ziffer 15.3.7, dass ein Kindersitz ausgetauscht werden muss, wenn er starken Belastungen ausgesetzt war. Die meisten Kindersitzhersteller geben in ihren Bedienungsanleitungen an, dass ein Austausch ab einer Aufprallgeschwindigkeit von circa 7 bis 10 km/h zu erfolgen hat. Ein leichter Parkrempler dürfte damit noch kein Grund zur Sorge sein, aber wenn man im Auto den Aufprall deutlich gemerkt hat, darf der Sitz nicht weiterverwendet werden.
Selbst wenn keine Beschädigungen zu erkennen sind, sollte der Kindersitz von einem Sachverständigen oder vom Kindersitz-Hersteller überprüft werden. Denn die auf den Sitz einwirkenden Kräfte können zu feinen Haarrissen in der Struktur führen, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. Nach der Überprüfung kann der Sachverständige oder der Kindersitz-Hersteller dem Geschädigten eine Bestätigung ausstellen.
Den neu angeschafften Kindersitz erstatten manche Versicherungen allerdings nicht mit dem Neupreis, sondern nur mit dem Zeitwert. Es wird ein Abzug „neu für alt“ vorgenommen. Dabei wird verkannt, dass mit dem Zeitwert kein neuer Sitz gekauft werden kann. Zudem wird vom Kauf gebrauchter Kindersitze abgeraten, da Kindersitze Sicherheitsartikel sind.
Aus diesem Grund muss ein neuer Kindersitz gekauft werden, dessen Neupreis die gegnerische Versicherung erstatten muss. Dies haben auch einige Gerichte so entschieden:
- Hinweisbeschluss des LG Stuttgart vom 14.03.2018, Az. 5 S 6/18: Es ist dem Geschädigten unzumutbar, als Ersatz einen gebrauchten Kindersitz anzuschaffen, da es sich bei einem Kindersitz um einen sicherheitsrelevanten Gegenstand handelt. Der Geschädigte muss das Risiko einer nicht erkennbaren Vorschädigung eines gebrauchten Kindersitzes nicht hinnehmen und darf auf Kosten des Schädigers einen neuwertigen Kindersitz anschaffen, ohne sich einen Abzug „neu für alt“ anrechnen lassen zu müssen.
- Urteil des Amtsgericht Ansbach vom 19.10.2016, Az. 5 C 721/16: Es sind die vollen Kosten für die Neuanschaffung einer Basisstation und eines Kindersitzes ersatzfähig. Beides wurde unfallbedingt beschädigt. Ein Abzug „Neu für Alt“ kommt bei einem beschädigten, gebrauchten Kindersitz, an dessen Stelle ein neuwertiger Kindersitz tritt, nicht zum Tragen.
- Urteil des OLG Koblenz vom 12.12.2011, Az. 12 U 1059/10: Es ist allgemein bekannt, dass Kindersitze nach Unfällen, die über die Bagatellgrenze hinaus gehen, wegen der Möglichkeit einer Bildung von durch bloßen Augenschein regelmäßig nicht wahrnehmbaren Haarrissen des Austausches bedürfen, um einen wirksamen Schutz des Kindes zu gewährleisten. Aufgrund der Tatsache, dass der Nutzungsdauer eines Kindersitzes durch das Kindesalter und Gewicht eine absolute Grenze gesetzt ist, erwächst dem Geschädigten durch den Neuerwerb des Sitzes kein merklicher wirtschaftlicher Vorteil. Es ist, wenn überhaupt, allenfalls ein geringfügiger Abzug anzusetzen (im vorliegenden Fall waren das 9,99 EUR).
Für das Autohaus / die Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Für das Autohaus als Reparaturwerkstatt treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige sollte in seinem Gutachten dokumentieren, dass der Kindersitz während des Unfalls im Auto verbaut war. Ebenso sind Fotos hilfreich, auf denen das Modell und die ID-Nummer des Kindersitzes zu erkennen ist. Der Sachverständige sollte – wenn er hierüber eine Aussage treffen kann – festhalten, dass der Kindersitz durch den Unfall beschädigt worden ist.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte sollte am besten unmittelbar nach dem Unfall Fotos machen, die zeigen, dass der Kindersitz während des Unfalls im Auto verbaut war. Bezweifelt die Versicherung, dass der Kindersitz beim Unfall beschädigt worden ist, sollte der Kindersitz vom Sachverständigen oder Kindersitzhersteller überprüft und eine Bestätigung hierüber ausgestellt werden. Der Geschädigte hat dann Anspruch auf die Kosten einer Neuanschaffung eines Kindersitzes, er muss sich nicht auf den Zeitwert verweisen lassen.