Plötzlicher Hagel auf der Autobahn – am 28. April 2019 hatte sich die Autobahn A 71 in Südthüringen binnen Sekunden in eine Eisfläche verwandelt. Es kollidierten ca. 50 Fahrzeuge, mehrere Dutzend Menschen wurden verletzt. Man spricht hier von einer Massenkarambolage. Bei solch einem Unfall mit vielen Fahrzeugen ist die Situation häufig unübersichtlich und chaotisch. Der Verursacher kann praktisch kaum ermittelt werden, weil der Unfallhergang nicht eindeutig rekonstruiert werden kann. Wie werden solche Massenkarambolagen in der Praxis reguliert?
Damit die Unfallbeteiligten nicht auf ihrem Schaden sitzen bleiben und lange Rechtsstreite mit mehreren Unfallparteien vermieden werden, bieten die Kfz-Versicherer im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) den Unfallbeteiligten für einen solchen Massenunfall ein vereinfachtes Verfahren an.
Das jetzige Verfahren zur Schadenregulierung bei Massenunfällen hatte der GDV im November 2015 beschlossen. Alle Unfallbeteiligten – auch die Fahrer – können sich dadurch direkt an den eigenen Kfz-Haftpflichtversicherer wenden, um die Schäden an Personen und am Auto ersetzt zu bekommen. Die Versicherer zahlen dann vorbehaltlos die Schäden am eigenen Auto, auch wenn man keine eigene Kaskoversicherung abgeschlossen hat. Bei einem normalen Unfall hingegen sind die Schäden am eigenen Wagen ohne nachweisbaren Verursacher ausschließlich über die Kaskoversicherung abgedeckt. Zudem wird der Massenunfall nicht auf den Schadenfreiheitsrabatt des Halters angerechnet.
Ein weiterer Vorteil für die betroffenen Autofahrer ist, dass alle Schäden am Auto grundsätzlich zu 100 Prozent von den Kfz-Haftpflichtversicherern übernommen werden. Vor 2015 galt noch, dass die betroffenen Autofahrer lediglich bei einem Heckschaden die volle Erstattung bekamen, nicht aber bei einem Front- oder Totalschaden.
Ab wann ist ein Unfall ein Massenunfall?
Nicht jeder Unfall mit vielen Fahrzeugen ist gleich ein Massenunfall und kann entsprechend reguliert werden. Ob ein Massenunfall vorliegt, entscheidet ein Gremium des GDV. Dafür müssen drei Bedingungen vorliegen:
- Es darf keinen identifizierbaren Unfallverursacher geben.
- Es müssen mindestens 40 Fahrzeuge beteiligt sein. Ist der Unfallhergang nur schwer nachvollziehbar, etwa wegen der Witterungsverhältnisse, genügen im Ausnahmefall auch 20 Fahrzeuge.
- Es besteht ein enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang bei dem Unfallgeschehen.
Für den eingangs geschilderten Unfall auf der A71 sah das GDV-Gremium diese drei Kriterien als erfüllt an.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Im Fall eines Massenunfalls ist das Autohaus, was die Bezahlung der Reparaturrechnung angeht, auch geschützt – denn der Geschädigte hat einen Erstattungsanspruch gegen die eigene Haftpflichtversicherung.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige begutachtet die Schäden am verunfallten Fahrzeug wie immer. Das Gutachten wir dann aber nicht wie sonst an die gegnerische, sondern an die eigene Haftpflichtversicherung geschickt.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Auch wenn das oben beschriebene vereinfachte Verfahren bei Massenunfällen auch ohne Vollkaskoversicherung greift, ist der Abschluss einer Kaskoversicherung dennoch sinnvoll. Liegen nämlich die Voraussetzungen für eine Massenunfall nicht vor, weil beispielsweise nur 17 Autos ineinander gekracht sind, müssten die Geschädigten ohne Kaskoversicherung den Schaden am eigenen Auto selbst zahlen.