Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall ist der Geschädigte berechtigt, zur Feststellung der Schäden an seinem Fahrzeug einen Sachverständigen zu beauftragen. Die Kosten des Sachverständigen kann der Geschädigte von der gegnerischen Versicherung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erstattet verlangen.
Auch bei dieser Position gibt es immer wieder Einwendungen der gegnerischen Versicherungen – beispielsweise die, dass ein Gutachten wegen der geringen Schadenshöhe nicht erforderlich gewesen sei. Und in der Tat gibt es eine Bagatellgrenze, unterhalb derer die Kosten für ein Vollgutachten nicht zu erstatten sind.
Mit Urteil vom 30.11.2004, Az. VI ZR 365/03, hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass der Geschädigte bei einer Schadenshöhe von 727,37 Euro berechtigt ist, ein Gutachten in Auftrag zu geben und dass die Kosten von der gegnerischen Haftpflichtversicherung zu erstatten sind. Seitdem haben die Amts- und Landgerichte die Bagatellgrenze bei etwa 750 bis 800 Euro gezogen. In letzter Zeit sehen einige Gerichte die Bagatellgrenze jedoch eher bei 1.000 Euro, wobei manche Gerichte die 1.000 Euro als Nettobetrag und andere als Bruttobetrag betrachten (vgl. AG München, Urteil vom 15.09.2015, Az. 344 C 16121/15, AG Hamburg, Urteil vom 14.12.2017, Az. 20a C 375/17, AG Bielefeld, Urteil vom 25.01.2018, Az. 421 C 438/17, AG Böblingen, Urteil vom 07.06.2018, Az. 19 C 641/17).
Der Hintergrund liegt auf der Hand: 750 Euro Schadenshöhe vor mehr als 15 Jahren mögen ein veritabler Unfallschaden gewesen sein. Die 750 Euro von heute sind – insbesondere im Premiumsegment – eher eine kleine SMART-Repair-Maßnahme. Eine Spiegelkappe oder ein Rücklichtglas sprengen den Rahmen meistens schon.
Allerdings ist die Schadenshöhe nicht das alleinige Merkmal bei der Beurteilung, ob die Kosten eines Sachverständigengutachtens zum erforderlichen Herstellungsaufwand gehören oder nicht. So hat das Amtsgericht (AG) Nürnberg mit Urteil vom 06.06.2019, Az. 18 C 2692/19, entschieden dass es bei einem Schaden im zu beurteilenden Grenzbereich (Schadenshöhe bei 866,07 Euro brutto), keine starren Grenzen gibt, sondern immer der Einzelfall berücksichtigt werden muss.
In dem vom AG Nürnberg zu entscheidenden Fall hatte sich der Unfall durch ein zurücksetzendes Fahrzeug mit Schrittgeschwindigkeit ereignet. Dies sprach zunächst dagegen, dass erhebliche Schäden am Stoßfänger zu erwarten waren. Doch, so das Gericht, könne es sein, dass sich die Verkleidung zurückverformt hat und darunter deutlicher Schaden verborgen bleibt. Das bedürfe der Beurteilung eines Sachverständigen, das Laienwissen des Geschädigten reiche dafür nicht aus. Im Gutachten wurde dann auch festgestellt, dass die vordere Stoßstangenverkleidung eingedrückt und verformt war, so dass für den Geschädigten die Höhe des Schadens nicht absehbar war. Und die Erforderlichkeit eines Gutachtens bestimmt sich aus der Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis und Einflussmöglichkeiten.
Ein weiteres Beispiel für eventuell verborgene Schäden ist der Schaden an einer Anhängezugvorrichtung nach einem Heckaufprall. Mag sie auch den Schaden vom Fahrzeugkörper abgehalten haben und äußerlich einwandfrei aussehen, weiß der Geschädigte nie, welche Kräfte sich in den Wagenboden übertragen haben und ob das Teil selbst noch in Ordnung ist. In solch einem Fall ist ein Gutachten erforderlich (AG Wolfenbüttel, Urteil vom 08.05.2018, Az. 17 C 270/17).
Kurzgutachten möglich
Unterhalb der Bagatellgrenze muss der Geschädigte aber nicht gänzlich auf einen Sachverständigen verzichten. Er darf den Sachverständigen mit einer Kostenkalkulation (sog. Kurzgutachten) beauftragen. Das ist eine mit zwei oder drei Bildern versehene Schadenprognose, die einen der Situation angepassten Preis hat. Die Kosten dafür sind durch die gegnerische Haftpflichtversicherung zu erstatten (vgl. AG Böblingen, Urteil vom 28.01.2014, Az. 2 C 2391/13, AG Heidenheim, Urteil vom 27.12.2013, Az. 5 C 699/13, AG Berlin-Mitte, Urteil vom 24.09.2013, Az. 102 C 3011/13). Die Kosten für das Kurzgutachten dürfen sich bei ca. 70 bis 100 Euro bewegen.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Auch bei einem geringen Schaden am verunfallten Fahrzeug sollte das Autohaus dem Geschädigten raten, einen Gutachter hinzuziehen. Dieser kann dann je nach Schadenshöhe und Einzelfall ein komplettes Gutachten erstellen oder ein Kurzgutachten. Der Vorteil ist: Auch bei einem Kurzgutachten darf sich der Geschädigte auf die Ausführungen des Gutachters verlassen und der Werkstatt den Auftrag „Reparatur gemäß Gutachten“ erteilen. Damit ist der Geschädigte nach der Reparatur-gemäß-Gutachten-Rechtsprechung geschützt.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige sollte die Schadenshöhe vorab schätzen und dann ein der Situation angepasstes Gutachten für den Geschädigten erstellen. Je nach Schadensbild kann im Einzelfall auch bei einem zunächst gering aussehenden Schaden wegen eventuell verborgener Schäden ein Komplettgutachten erforderlich sein. Das bedarf stets der Beurteilung eines Gutachters, für die das Laienwissen des Geschädigten nicht ausreicht.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Für den Geschädigten gilt dasselbe wie für das Autohaus.