Im Jahr 2018 wurden bundesweit 1,7 Millionen praktische Fahrerlaubnisprüfungen durchgeführt – damit bewegen sich auf Deutschlands Straßen zahlreiche Fahrschulfahrzeuge, die in Unfälle verwickelt werden können. Treten in der Unfallregulierung Besonderheiten auf, wenn es zu einem Unfall mit solch einem Fahrzeug kommt?
Über einen Unfall, an dem ein Fahrschulfahrzeug beteiligt war, und die entsprechende Haftungsquote hatte das Landgericht (LG) Saarbrücken mit Urteil vom 02.11.2018, Az. 13 S 104/18, entschieden.
Sachverhalt:
Bei der Ausfahrt aus einem Verkehrskreisel fuhr der Ehemann der Klägerin mit dem von ihm gesteuerten Kfz auf das Fahrschulfahrzeug auf, in dem am Steuer ein Fahrschüler und auf dem Beifahrersitz der Fahrlehrer saßen. Der Fahrschüler hatte beim Ausfahren aus dem Kreisel unvermittelt stark abgebremst, so dass das dahinterfahrende Fahrzeug der Klägerin auffuhr. Die Klägerin machte mit der Klage die Hälfte des ihr entstandenen Schadens gegen den Fahrlehrer und der Kfz-Haftpflichtversicherung des Fahrschulautos geltend.
Entscheidung:
Das Gericht hat der Klägerin nur 30 % des von ihr geltend gemachten Schadens zugesprochen. Es hat festgestellt, dass grundsätzlich beide Beteiligten für die Folgen des Unfalls gem. § 7, § 17 Abs. 1, 2, § 18 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben. Die Unfallschäden sind bei dem Betrieb eines Kfz entstanden, der Unfall ist nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der Beteiligten war der Unfall unabwendbar i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG.
Das Verschulden der Beklagten lag darin, dass der Fahrschüler ohne zwingenden Grund abgebremst hatte.
Das Verschulden des nachfahrenden Ehemanns der Klägerin lag darin, dass dieser den erforderlichen Abstand zum vorausfahrenden Auto nicht eingehalten und somit gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hatte. Danach muss der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug so groß sein, dass auch dann hinter ihm angehalten werden kann, wenn es plötzlich abbremst.
Wer im Straßenverkehr daher auf den Vorausfahrenden auffährt, war i.d.R. unaufmerksam oder zu dicht hinter ihm. Dafür spricht der Beweis des ersten Anscheins. Dieser Anscheinsbeweis kann erschüttert werden, indem der Auffahrende einen atypischen Verlauf, der die Verschuldensfrage in einem anderen Licht erscheinen lässt, darlegt und beweist. Das kann dann der Fall sein, wenn der Vorausfahrende sein Fahrzeug ohne zwingenden Grund stark abgebremst hat. Allerdings gilt dies wiederum nicht, wenn mit einem abrupten Abbremsen auch ohne zwingenden Grund zu rechnen ist. Und gerade das ist der Fall bei einem Fahrschulfahrzeug: Jeder Verkehrsteilnehmer, der einem deutlich als solchen gekennzeichneten Fahrschulfahrzeug folgt, muss mit plötzlichen und sonst nicht üblichen Reaktionen rechnen und seine Fahrweise darauf einstellen (vgl. AG München, Urteil vom 14.06.2005, Az. 322 C 36909/04, AG Hannover, Urteil vom 05.07.2013, Az. 417 C 3415/13). Das grundlose Abbremsen oder auch „Abwürgen“ des Motors gehört zu den typischen Anfängerfehlern eines Fahrschülers. Daher führt das plötzliche Bremsen des Fahrschulautos nicht zu einer Erschütterung des Anscheinsbeweises.
Das LG Saarbrücken hat in einem zweiten Schritt die Verschuldensbeiträge gegeneinander abgewogen und die Haftung des nachfahrenden Fahrzeugs auf 70 %, die des Fahrschulfahrzeugs auf 30 % festgesetzt:
Die Kenntlichmachung von Fahrschulfahrzeugen bei Übungsfahrten dient dem Zweck, auf das erhöhte Risiko eines unangepassten Fahrverhaltens hinzuweisen. Vorliegend ging zu Lasten des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs, dass in der konkreten Situation mit einem abrupten Abbremsen zu rechnen war. Der Ehemann der Kl. hatte bei seiner Vernehmung angegeben, eine herannahende Person in einer Entfernung von ca. 4 Metern wahrgenommen zu haben. Eine Reaktion des Fahrschulwagens auf diese Person war daher nicht fernliegend und hätte bei der Wahl des Sicherheitsabstands einkalkuliert werden müssen.
Andererseits hat der Fahrschüler beim Verlassen des Kreisverkehrs und damit an einer Stelle abgebremst, die dem nachfolgenden Verkehr räumlich wenig Reaktionsmöglichkeiten lässt und damit besonders gefährlich ist. Aus diesem Grund tritt die Betriebsgefahr des Fahrschulfahrzeugs hier nicht zurück.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Das Autohaus sollte wissen, dass die Haftung bei einem Unfall mit einem Fahrschulfahrzeug anders zu beurteilen sein kann. Selbst bei einem zunächst eindeutig ausschauenden Auffahrunfall kann der Auffahrende eine Teilschuld bekommen, da ihn erhöhte Sorgfaltspflichten treffen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen gilt dasselbe wie für das Autohaus.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Wer hinter einem Fahrschulfahrzeug, das als solches gekennzeichnet ist, fährt, muss seinen Abstand so wählen, dass er auch bei einem unangepassten Fahrverhalten des Fahranfängers – hier Abbremsen ohne zwingenden Grund – noch rechtzeitig anhalten kann. Er hat eine erhöhte Sorgfaltspflicht.