Bislang haben wir im Rahmen unserer Newsletter überwiegend Unfälle zwischen PKWs behandelt. Aber natürlich gibt es auch andere Unfallbeteiligte wie Motorradfahrer, Fahrradfahrer oder Fußgänger. Bei Unfällen mit Fahrradfahrern beispielsweise sind in haftungsrechtlicher Hinsicht einige Besonderheiten zu beachten, vom Haftungsgrund bis hin zur Abrechnung von einzelnen Schadensersatzpositionen. Allein schon die Gefahr eines Gesundheitsschadens ist deutlich größer. Nachstehend geben wir einen kurzen Überblick – in diesem Newsletter zum Haftungsgrund, zum Mitverschulden und zum Anspruchsgegner, im nächsten Newsletter dann zu einzelnen Schadensersatzpositionen:
1) Haftung des Fahrradfahrers
Schadensrechtlich ist bei Unfällen mit Fahrradfahrern die Besonderheit zu berücksichtigen, dass ein Fahrrad keine wie einem Kraftfahrzeug anhaftende Betriebsgefahr hat. Kraftfahrzeughalter haften nämlich nach § 7 StVG auch ohne Verschulden für Schäden, die aus dem Betrieb des Kraftfahrzeuges folgen. Ein Ausgleich der beidseitigen Gefährdungshaftungen findet über § 17 StVG (Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge) statt.
Bei Unfällen, an denen ein Radfahrer beteiligt ist, ist das anders: Ein Radfahrer haftet nach § 823 BGB nur für Verschulden. Eine Betriebsgefahr allein für das Führen des Rades muss sich der Radfahrer nicht anrechnen lassen. § 7 StVG bezieht sich nur auf Kraftfahrzeuge, eine entsprechende Vorschrift für Radfahrer gibt es nicht. Ist der geschädigte Radfahrer an dem Unfall mit schuld, so hat er den Schaden nach § 254 BGB und § 9 StVG anteilig zu tragen.
2) Mitverschulden des Fahrradfahrers
In manchen Fällen wird eine Kürzung der Ansprüche des geschädigten Fahrradfahrers vorgenommen, wenn ihm ein Mitverschulden an dem Unfall vorgeworfen werden kann. Dies kann beispielsweise in folgenden Fällen vorkommen:
a) Fahren ohne Helm
Teilweise wird von den gegnerischen Versicherungen argumentiert, dass ein Fahrradfahrer ein Mitverschulden an seinen eigenen Verletzungen hat, wenn er keinen Helm trägt. Denn es wäre zu keiner oder weniger schwerwiegenden Verletzungen gekommen wäre, wenn er einen Helm getragen hätte.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17.6.2014, Az. VI ZR 281/13, führt das Nichttragen eines Fahrradhelms nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens. Denn: Grundsätzlich gibt es keine gesetzliche Verpflichtung, einen Helm als Fahrradfahrer zu tragen. Ein Fahrradfahrer muss sich „verkehrsrichtig“ verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Aber: Dafür muss das Tragen des Helms dem „allgemeinen Verkehrsbewusstsein“ entsprechen. Und dem war (zum Zeitpunkt des Urteils) nicht so.
Das sieht auch aktuell noch das OLG Nürnberg, Urteil vom 28.8.2020, Az. 13 U 1187/20, so: Zumindest im Alltagsradverkehr begründet das Nichttragen eines Helms nach wie vor kein Mitverschulden des verletzten Radfahrers. Eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, dass Radfahren eine Tätigkeit darstellt, die generell derart gefährlich ist, dass sich nur derjenige verkehrsgerecht verhält, der einen Helm trägt, besteht weiterhin nicht.
Allenfalls bei auf der Straße fahrenden Radrennsportlern (ebenso Mountainbiker und andere Radfahrer mit erhöhtem Gefährdungspotential) kann ein Mitverschulden bei Nichttragen eines Helmes anzunehmen sein.
b) Falsche Straßenbenutzung
Verkehrszeichen regeln die Fahrtrichtung für Fahrradfahrer und ggfs., ob sie einen ausgewiesenen Fahrradweg benutzen oder auf der Straße fahren müssen. Die Radwegbenutzungspflicht gilt nur, wenn dies mit den Zeichen 237, 240 und 241 ausgewiesen wird. Andernfalls ist die Straße zu befahren.
Sofern ein Fahrradfahrer unerlaubterweise in der falschen Richtung fährt, kann ein Mitverschulden angerechnet werden, wenn es zu einem Unfall kommt.
c) Musik hören während der Fahrt
Viele Fahrradfahrer hören während der Fahrt Musik oder telefonieren. Es ist grundsätzlich nicht verboten, während der Fahrt Musik zu hören, solange der Fahrradfahrer akustische Warnzeichen wie Klingeln oder Sirenen wahrnehmen kann. Das Handy beim Fahrradfahren in der Hand zu halten, um Nachrichten zu Tippen oder um zu telefonieren, ist hingegen nicht erlaubt. Kommt es aufgrund des Musikhörens oder der Handynutzung zu einem Unfall, kann dem Fahrradfahrer ein Mitverschulden angelastet werden.
3) Fahrradfahrer als Schädiger – wer haftet: der Fahrradfahrer oder die Versicherung?
Anders als bei einem Unfall mit einem Autofahrer ist bei einem Fahrradfahrer, der den Unfall verschuldet hat, nicht zwangsläufig eine Haftpflichtversicherung vorhanden. Nur Autofahrer sind gesetzlich nach § 1 PflVG dazu verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Fahrradfahrer haben eine solche Pflicht nicht.
a) Private Haftpflichtversicherung ist vorhanden
Ein Großteil der Deutschen hat eine private Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Hat der gegnerische Fahrradfahrer als Unfallverursacher eine solche abgeschlossen, so übernimmt diese die Abwicklung des Fahrradunfalls. Allerdings besteht, sollte geklagt werden müssen, kein Direktanspruch nach § 115 VVG gegen die Versicherung. Im Fall einer Klage muss daher der unfallverursachende Fahrradfahrer direkt verklagt werden.
b) Keine Versicherung vorhanden
Wenn keine private Haftpflichtversicherung vorhanden ist, muss der unfallverursachende Fahrradfahrer den Schadensersatzanspruch des Geschädigten selbst ausgleichen. Die Ansprüche können sich, je nachdem was für ein Fahrrad beschädigt wurde und wie schwer die Verletzungen sind, auf mehrere tausend Euro belaufen. Für den Geschädigten kann eine fehlende Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers unangenehme Konsequenzen haben: Denn möglicherweise hat der Schädiger gar nicht die finanziellen Möglichkeiten, um für den Schaden aufzukommen.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Fahrradfahrer, der in einen Unfall verwickelt ist, sollte sich bei der Regulierung des Unfalls einen Anwalt zu Hilfe nehmen, der auf das Verkehrsrecht spezialisiert ist. Fragen zu Haftung und auch die Geltendmachung des Sach- und Personenschadens gehören in die Hände eines Spezialisten.