Für manche Abrechnungsvarianten muss der Geschädigte eines unverschuldeten Verkehrsunfalls sein verunfalltes und wieder repariertes Auto weitere sechs Monate nach dem Unfall nutzen. Durch die sechsmonatige Nutzung dokumentiert er seinen Behaltewillen und nur so kann er die über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden Reparaturkosten bei der gegnerischen Versicherung geltend machen.
Diese sechsmonatige Haltedauer ist in zwei Fällen relevant:
- Bei konkreter Abrechnung, wenn die Reparaturkosten zzgl. einer etwaigen Wertminderung bis zu 30 % über dem Wiederbeschaffungswert liegen: diese kann der Geschädigte nur verlangen, wenn er sein Fahrzeug vollständig und fachgerecht reparieren lässt und das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiter nutzt. Anderenfalls ist der Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt (BGH, Urteil v. 15.02.2005, Az. VI ZR 172/04).
- Bei fiktiver Abrechnung, wenn der Reparaturaufwand zwischen Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) und Wiederbeschaffungswert liegt: der Geschädigte hat Anspruch auf die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten netto ohne Abzug des Restwertes, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiter nutzt und falls erforderlich bis zur Verkehrssicherheit reparieren lässt (BGH, Urteil v. 29.04.2003, Az. VI ZR 393/02; Urteil v. 23.05.2006, Az. VI ZR 192/05; Urteil v. 29.04.2008, Az. VI ZR 220/07).
Der BGH hat mit Beschluss vom 18.09.2008, Az. VI ZB 22/08, und vom 26.05.2009, Az. VI ZB 71/08, festgestellt: „Die Sechsmonatsfrist stellt keine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung dar. Sie hat lediglich beweismäßige Bedeutung. Wird das beschädigte Fahrzeug sechs Monate nach dem Unfall weiter benutzt, so ist dies im Regelfall ein ausreichendes Indiz, um das Integritätsinteresse (das Interesse auf Erhalt und Reparatur des vertrauten Fahrzeugs) des Geschädigten; eine weiter gehende Bedeutung hinsichtlich der Fälligkeit des Anspruchs kommt der Frist nicht zu.“
Der Anspruch des Geschädigten ist damit schon vor Ablauf der sechs Monate fällig. Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, von dem an der Gläubiger die Leistung verlangen kann. Verlangt der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall den zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, tritt die Fälligkeit in der Regel sofort im Zeitpunkt der Rechtsgutverletzung ein.
Allerdings kann die gegnerische Haftpflichtversicherung nach Ablauf der sechs Monate die Vorlage einer Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil I (früher: Fahrzeugschein) verlangen. Kann der Geschädigte diese nicht vorlegen, fällt er auf den Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand zurück und die Versicherung hat einen Rückforderungsanspruch des zu viel bezahlten Betrags.
Was aber ist, wenn der Geschädigte während der sechsmonatigen Haltedauer einen weiteren Unfall mit Totalschaden hat oder das Fahrzeug aus finanziellen Gründen (z.B. Arbeitslosigkeit) aufgeben muss?
Der BGH spricht bei solchen Störungen von einer erzwungenen Nutzungsaufgabe. Diese führt nicht dazu, dass der Behaltewillen wegen Unterschreitung der sechs Monate verneint werden könne. Denn entscheidend ist der Wille zur Weiternutzung zum Reparaturzeitpunkt (BGH, Beschluss v. 26.05.2009, Az. VI ZB 71/08).
Auch wenn das Fahrzeug innerhalb der sechs Monate wegen Schulden des Geschädigten vom Gerichtsvollzieher gepfändet und verwertet wird, ist das kein vorzeitiges freiwilliges Abschaffen des Fahrzeugs, sondern eine erzwungene Aufgabe (OLG Düsseldorf, Urteil v. 17.12.2019, Az. I-1 U 162/18).
Für das Autohaus/die Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Wenn der Kunde eine der zwei oben genannten Abrechnungsvarianten wählt, sollte das Autohaus den Kunden auf die sechsmonatige Behaltefrist hinweisen. Andernfalls droht dem Kunden bei einer freiwilligen Nutzungsaufgabe des Fahrzeugs vor Ablauf dieser Frist ein Rückforderungsanspruch der gegnerischen Haftpflichtversicherung. Diese kann die Differenz zwischen den Reparaturkosten und dem Wiederbeschaffungsaufwand zurückfordern.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte sollte wissen, dass er bei bestimmten Abrechnungsvarianten nachweisen muss, dass er sein Fahrzeug auch noch sechs Monate nach dem Unfall weiter benutzt. Eine unfreiwillige Nutzungsaufgabe, beispielsweise durch Unfall oder Pfändung des Fahrzeugs, lässt den Behaltewillen dagegen nicht entfallen; es genügt, wenn dieser zum Reparaturzeitpunkt bzw. bei Geltendmachung der fiktiven Reparaturkosten vorliegt.