Für Autohäuser und Kfz-Werkstätten ist es gängige Praxis: Ein Kunde eines Autohauses bringt abends sein Fahrzeug zur Werkstatt, weil er am nächsten Tag dort einen Termin hat. Er stellt das Fahrzeug auf dem Betriebsgelände ab und wirft den Schlüssel in den Werkstattbriefkasten ein. Das ist praktisch, wenn der Kunde am nächsten Tag (berufliche) Termine hat und weil die Werkstatt auf das Fahrzeug zugreifen kann, wann es ihr am besten passt. Doch ein Risiko hat das Ganze: Autodiebe können den Schlüssel aus dem Briefkasten entwenden und so ohne Probleme das Fahrzeug an sich bringen. Genau das passierte einem Autobesitzer, dessen Versicherung ihm anschließend grobe Fahrlässigkeit vorwarf und nicht zahlen wollte.
Grundsätzlich ist die Voll- bzw. die Teilkaskoversicherung aus dem Kaskoversicherungsvertrag zur Leistung verpflichtet, wenn das versicherte Fahrzeug entwendet wird. Führt allerdings der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlössig herbei, hat dies nachteilige Konsequenzen für ihn. Während die vorsätzliche Herbeiführung nach § 81 Abs. 1 VVG zum Verlust des Versicherungsschutzes führt, berechtigt grobe Fahrlässigkeit den Versicherer nach § 81 Abs. 2 VVG zur Kürzung der Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis.
Ob eine solche Weigerung der Kaskoversicherung aufgrund des Vorwurfs der groben Fahrlässigkeit durch den Einwurf des Schlüssels in den Briefkasten zu Recht erfolgt war, darüber hatte das Landgericht (LG) Oldenburg zu entscheiden (Urteil vom 14.10.2020, Az. 13 O 688/20).
Das LG Oldenburg gab dem geschädigten Kläger Recht. Es hat das Verhalten des geschädigten Versicherungsnehmers nicht als grob fahrlässig angesehen, so dass – in diesem Fall – die Teilkaskoversicherung kein Recht hatte, die Leistung zu kürzen.
Grundsätzlich ist zwar anerkannt, dass das Einwerfen eines Schlüssels in den Briefkasten eines Autohauses den Tatbestand der groben Fahrlässigkeit erfüllen kann (vgl. OLG Köln, Urteil vom 31.10.2000, AZ 9 U 65/00), allerdings kommt es nach Einschätzung des LG Oldenburg immer auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles an. Entscheidend ist, ob ein in den Briefkasten eingeworfener Schlüssel leicht wieder herausgezogen werden kann und ob weitere äußere Umstände darauf hindeuten, dass der Schlüssel dort nicht sicher und leicht dem Zugriff Dritter ausgesetzt sei.
Das war vorliegend nicht gegeben, denn, so das LG Oldenburg:
Der Briefkasten hat sich im direkten Eingangsbereich des Autohauses befunden. Der Eingangsbereich lag zurückgesetzt hinter den Schaufenstern der Ausstellung und war in das Gebäude hineingezogen. Der Bereich um den Briefkasten war zudem mit Lampen bestückt, die den eingegrenzten Eingangsbereich beleuchteten. Daher entstand für den Kunden der Eindruck, der Briefkasten befinde sich in einem geschützten Bereich. Zudem sah der Briefkasten selbst von außen aus, als sei er so tief, dass die oben in den Schlitz eingeworfenen Teile weit nach unten fallen und dass man diese von außen nicht erreichen und herausholen könne. Der Briefkasten sah stabil und aufbruchsicher aus.
Daher musste der bestohlene Kläger keine Sorge haben, dass der Schlüssel von Unbefugten aus dem Briefkasten herausgenommen werden würde. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Kunde darauf geachtet hatte, dass der Schlüssel nach unten falle. Darüber hinaus sei es in dem Autohaus bislang zu keinem vergleichbaren Entwendungsfall gekommen.
Im Ergebnis sah das Gericht das Einwerfen des Schlüssels in diesen Briefkasten nicht als grob fahrlässig an. Der Kaskoversicherer musste daher für den entstandenen Schaden aufkommen.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Das Autohaus, das seinen Kunden anbietet, Autoschlüssel durch Einwurf in den Briefkasten „abzugeben“, hat im Rahmen des Werkvertrags Obhuts- und Aufbewahrungspflichten und sollte daher auf Folgendes achten: Der Briefkasten sollte in einem geschützten Bereich sein; er sollte so tief sein, dass die oben in den Schlitz eingeworfen Teile weit nach unten fallen und diese von außen nicht sichtbar und erreichbar sind. Zudem sollte der Briefkasten stabil und aufbruchsicher sein. Der Kunde sollte insgesamt also keine Sorge haben müssen, dass der Schlüssel von Unbefugten aus dem Briefkasten herausgenommen werden kann.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten/Versicherungsnehmer heißt das Folgendes:
Nur wenn der Kunde eines Autohauses sicher sein kann, dass sein Schlüssel nicht aus dem Briefkasten entwendet werden kann, darf er diesen am Vortag eines Werkstatttermins dort einwerfen. Sollte er Sorge haben, dass der Schlüssel aus dem Briefkasten herausgenommen werden kann, darf er den Schlüssel nicht einwerfen. Ansonsten handelt er grobfahrlässig und läuft Gefahr – sollte der Schlüssel samt Auto entwendet werden – dass seine Kaskoversicherung die Leistung aufgrund grober Fahrlässigkeit kürzt.