

Ein Kunde eines Autohauses interessiert sich für einen Pkw und unternimmt eine Probefahrt. Im Rahmen der Probefahrt versucht der Kunde rückwärts einzuparken und übersieht dabei einen hohen Randstein sowie einen Mauervorsprung und beschädigt den Pkw erheblich. Daraufhin teilt das Autohaus dem Kunden mit, dass für das Probe gefahrene Auto eine Vollkaskoversicherung besteht, die für den Schaden eintritt, fordert ihn aber gleichzeitig auf, die Selbstbeteiligung in Höhe von 500 Euro an das Autohaus zu zahlen. Ist die Forderung des Autohauses berechtigt?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat hierzu in seinem Urteil vom 07.06.1972, Az. VIII ZR 35/72, festgehalten:
„Überlässt ein Kfz-Händler einem Kaufinteressenten ein Kfz zu einer Probefahrt und wird das Fahrzeug infolge leichter Fahrlässigkeit des Fahrers beschädigt, so kann der Händler jedenfalls dann keinen Ersatz für die Beschädigung des Fahrzeugs verlangen, wenn diese im Zusammenhang mit den einer Probefahrt eigentümlichen Gefahren steht“.
Begründet hat der BGH dies relativ ausführlich:
Bei einer Probefahrt besteht ein erhöhtes Unfallrisiko, weil der Probefahrer in aller Regel mit den Eigentümlichkeiten des Vorführwagens nicht hinreichend vertraut ist. Der Kfz-Händler, der sein Fahrzeug einem möglichen Kunden zum Zwecke der Erprobung überlässt, kennt diese Gefahrerhöhung und nimmt sie im Interesse seines Gewerbebetriebes in Kauf. Auch der Kunde weiß um die besondere Gefährlichkeit einer Probefahrt, er ist sich jedoch in der Regel nicht darüber im Klaren, dass er für dieses Wagnis im Schadensfalle auch einstehen soll. Der Kunde legt die Einladung zu einer Probefahrt im Allgemeinen dahin aus, dass er für Schäden während der Probefahrt allenfalls dann zu haften hat, wenn er grobe Fahrfehler begeht oder solche Fehler, die nicht auf die besonderen Eigentümlichkeiten des zu erprobenden Fahrzeugs zurückzuführen sind.
Angesichts dieser Interessenlage und dieses Kenntnisstandes der beteiligten Personen ist bei der Überlassung eines Vorführwagens zu einer Probefahrt eine Haftung des Kunden für Schäden, die mit den eigentümlichen Gefahren einer Probefahrt im Zusammenhang stehen und die nur leicht fahrlässig verursacht worden sind, als stillschweigend abbedungen anzusehen.
Dem gewerblichen Verkäufer ist es zuzumuten, den Kunden von dem Risiko einer leicht fahrlässigen Beschädigung des Vorführwagens durch den Abschluss einer entsprechenden Kaskoversicherung voll freizustellen. Dabei kann er eine Kaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung oder eine solche mit Selbstbeteiligung wählen, wenn er bereit ist, im Falle einer leicht fahrlässigen Beschädigung des Fahrzeugs durch den Kunden die Selbstbeteiligung aus eigenen Mitteln aufzubringen.
Ist er nicht bereit, die Wägen in der geschilderten Weise zu versichern oder das Risiko einer leicht fahrlässigen Beschädigung selbst zu tragen, dann muss er die Kundin vor Antritt der Probefahrt darauf hinweisen. Wenn der Händler einen derartigen Hinweis unterlässt, darf der Kunde darauf vertrauen, dass er für leicht fahrlässige Beschädigungen des Vorführwagens nicht haftet.
In die Praxis umgesetzt heißt das:
Sofern der Kunde bei einer Probefahrt für die Selbstbeteiligung haften soll, muss dies im Rahmen einer sog. Probefahrtvereinbarung vereinbart werden. In dieser kann für den Fall eines Unfalls eine Selbstbeteiligungshöhe festlegt werden. Unterzeichnet der Kunde eine solche Vereinbarung, haftet er auch bei einfacher Fahrlässigkeit für die Selbstbeteiligung.
Im Ausgangsfall bedeutet dies, dass das Autohaus vom Kunden die Selbstbeteiligung über 500 Euro nicht fordern kann, da der Schaden fahrlässig verursacht worden und ein Hinweis im Rahmen einer Probefahrtvereinbarung an den Kunden gerade nicht erfolgt ist.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Das Autohaus sollte, sofern bei der Vollkaskoversicherung eine Selbstbeteiligung besteht, eine Probefahrtvereinbarung mit der festgelegten Selbstbeteiligung vom Kunden unterschreiben lassen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Kunden heißt das Folgendes:
Wer einen Pkw Probe fährt, dessen Fahrverhalten er nicht kennt, kann schnell einen Fahrfehler begehen. Oft lenken auch die ungewohnte Anordnung der Instrumente und neue Funktionen des Pkw vom Verkehrsgeschehen ab. Daher sind Unfälle bei Probefahrten nicht selten. In der Regel besteht bei einem Fahrzeug eines Autohändlers, das Probe gefahren wird, ein Vollkaskoschutz. Der Kunde muss dann nicht selbst für einen Schaden haften, sondern die Versicherung des Autohändlers übernimmt den Schaden. Eine Selbstbeteiligung ist vom Kunden nur zu zahlen, wenn er vor der Probefahrt darauf hingewiesen wurde oder wenn der Schaden grob fahrlässig – etwa durch überhöhte Geschwindigkeit oder Alkoholeinfluss – verursacht worden ist. In solch einem Fall kann die Vollkaskoversicherung die Zahlung sogar komplett verweigern, so dass der Kunde für den kompletten Schaden haften kann.