

Bei einem unverschuldeten Unfall darf der Geschädigte auf der Grundlage des im Schadengutachten festgestellten Restwerts ohne Rücksprache mit dem Versicherer sein verunfalltes Auto verkaufen, so der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 27.09.2016, Az. VI ZR 673/15.
Der Geschädigte darf sich aber nur auf ein Gutachten verlassen, das eine korrekte Restwertermittlung erkennen lässt. Der Gutachter muss „als geeignete Schätzgrundlage für den Restwert im Regelfall drei Angebote auf dem maßgeblichen regionalen Markt ermitteln und diese in seinem Gutachten konkret zu benennen“, vgl. BGH, Urteil vom 13.10.2009, Az. VI ZR 318/08.
Unter dem Begriff Restwert wird der Wert des beschädigten Unfallfahrzeugs verstanden.
Der Restwert ist bei der Regulierung eines unverschuldeten Verkehrsunfalls relevant, wenn der Geschädigte auf Totalschadensbasis abrechnet. In diesem Fall bekommt der Geschädigte von der gegnerischen Haftpflichtversicherung die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert (der sog. Wiederbeschaffungsaufwand) ersetzt. Die Kosten, die für die Beschaffung eines gleichwertigen Kraftfahrzeugs anfallen würden, bilden den sog. Wiederbeschaffungswert.
Was aber ist, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug gar nicht verkaufen will, sondern es selbst teilweise repariert und dann weiterfährt? Ist dann auch der Restwert aus dem Gutachten maßgebend? Über einen solchen, in der Unfallregulierung täglich vorkommenden Sachverhalt und eigentlich auch schon ausdiskutiertes Thema hatte das OLG München erst kürzlich zu entscheiden (Verfügung vom 14.04.2022, Az. 10 U 516/22e). Das Verfahren zeigt, dass es immer noch Haftpflichtversicherungen gibt, die im Fall der nachgewiesenen Weiternutzung nach einem Totalschaden einen höheren als im Gutachten festgestellten Restwert der Abrechnung zugrunde legen.
Sachverhalt:
Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall stellte der vom Geschädigten beauftragte Sachverständige einen Totalschaden am Fahrzeug fest. Der Geschädigte ließ sein Fahrzeug instand setzen und nutzte es weiter. Die gegnerische Haftpflichtversicherung legte ein höheres Restwertgebot aus einer Internetbörse und regulierte auf dieser Grundlage.
Die Klage des Geschädigten hatte in erster Instanz bezüglich des Restwerts Erfolg, streitig blieb die Haftungsquote. Das OLG München wies die Haftpflichtversicherung, die Berufung eingelegt hatte, darauf hin, dass die Berufung zum Restwert keinen Erfolg haben werde.
Entscheidung:
Der BGH hat bereits in seinen Urteilen vom 06.03.2007, Az. VI ZR 120/06, und vom 30.11.1999, Az. VI ZR 219/98, zu diesem Thema Stellung genommen: Wenn der Geschädigte im Totalschadenfall (hier: Reparaturkosten höher als 130 % des Wiederbeschaffungswerts) sein unfallbeschädigtes, aber fahrtaugliches und verkehrssicheres Fahrzeug weiterbenutzt, ist bei der Abrechnung nach den fiktiven Wiederbeschaffungskosten der in einem Sachverständigengutachten für den regionalen Markt ermittelte Restwert in Abzug zu bringen. Andernfalls sei der vollständige Schadenausgleich nicht gewährleistet und der Versicherer könnte durch ein entsprechend hohes Restwertangebot den Verkauf des Fahrzeugs erzwingen. Dies wiederum würde nicht dem gesetzlichen Bild des Schadenersatzersatzrechtes, in dem der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens ist, entsprechen. Allein der Geschädigte soll entscheiden können, wie er mit der beschädigten Sache verfährt. Es darf vom Schädiger kein Einfluss auf die Schadenabwicklung genommen werden.
Letzteres wäre aber möglich, wenn im konkreten Fall höhere Restwertangebote aus Internetbörsen zugelassen würden. Bei dem von der Haftpflichtversicherung übermittelten Restwertangebot handelt es sich um ein solches aus einer Internetbörse. Dieses Restwertangebot kann der Geschädigte gerade nicht realisieren, weil er sein Fahrzeug nicht weiterveräußert hat, sondern repariert und weiternutzt.
Für das Autohaus heißt das Folgende:
Für das Autohaus treten keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige muss grundsätzlich drei Restwertangebote aus dem regionalen Markt in sein Gutachten aufnehmen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte darf sich auf das Gutachten verlassen und auch im Totalschadensfall sein Fahrzeug nach dem Unfall weiter nutzen. Er muss allerdings, sofern das Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher ist, die Verkehrssicherheit wieder herstellen und dies auch nachweisen. Ein von der gegnerischen Versicherung an den Geschädigten versandtes Restwertangebot ist dann unbeachtlich.