

Nach einem unverschuldeten Autounfall hat der Geschädigte für die beim Unfall beschädigten Sachen grundsätzlich einen Kostenerstattungsanspruch nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gegen den Schädiger. Nach dem Grundgedanken der Naturalrestitution soll die wirtschaftliche Gesamtlage des Geschädigten vor dem Schadenereignis wiederhergestellt werden; der Geschädigte soll keine Nachteile erleiden, er soll sich aber auch nicht bereichern. Dafür, dass sich der Geschädigte nicht bereichert, haben die Rechtslehre und die Rechtsprechung den Abzug Neu-für-Alt entwickelt.
Beim Abzug Neu-für Alt geht es um einen Vorteil, der dem Geschädigten dadurch entsteht, dass er sich durch die Unfallschadenreparatur bzw. durch die Ersatzanschaffung einer beschädigten Sache eine baldige und ihm eigene Kosten verursachende Maßnahme erspart. Diese Grundsätze gelten nicht nur für den Fahrzeugschaden selbst, sondern auch für weitere Sachschäden.
Darüber, ob ein Abzug Neu-für-Alt bei Brillengläsern in Betracht kommt, hatte das AG Schwandorf in seinem Urteil vom 19.04.2023, Az. 2 C 263/22, zu entscheiden.
Sachverhalt:
Die Klägerin war als Fußgängerin im Juli 2021 nachts, als sie die Straße überqueren wollte, von einem Auto erfasst worden. Beim Sturz ist die Brille der Klägerin beschädigt worden, so dass die Klägerin neue Brillengläser im Wert von 1.175 Euro angeschafft hat. Außergerichtlich erstattete die Haftpflichtversicherung nur einen Betrag von 280 Euro und wandte ein, dass die Qualität der ausgetauschten Brillengläser nicht identisch sei, sodass die vorgenommene Regulierung ausreichend sei. Den restlichen Betrag von 895 Euro hatte die Klägerin ohne einen Abzug Neu-für-Alt geltend gemacht.
Entscheidung:
Das AG Schwandorf hat der Klägerin die Kosten für die neuen Brillengläser zugesprochen. Ein Abzug Neu-für-Alt sei nicht vorzunehmen.
Eine Vermögensmehrung sei durch die neuen Brillengläser bei der Klägerin nicht eingetreten, so das Gericht. Es mag zwar durchaus zutreffen, dass Brillengläser eine gewisse Lebensdauer haben. Dass durch die neuen Gläser allerdings eine spürbare Vermögensmehrung eingetreten ist, kann nicht angenommen werden. Brillengläser werden üblicherweise an das jeweilige Brillengestell und auch hinsichtlich des Augenabstands an den Träger der Brille angepasst. Die Brillengläser können daher nicht ohne weiteres weiterverwendet oder gar weiterverkauft werden, wenn der Brillenträger sich irgendwann für ein neues Gestell entscheidet. Etwas anderes mag grundsätzlich bezüglich des Brillengestells gelten, die Klägerin hat jedoch nur den Ersatz der Gläser gemacht.
Auch gebe es keinen Anhaltspunkt, dass sich die Klägerin höherwertige Gläser hat anfertigen lassen. Es hat sich auch bei den alten Gläsern um Gleitsichtgläser gehandelt, die Sehstärke ist ebenfalls gleichgeblieben.
Die Ansicht, dass bei Brillen kein Abzug vorzunehmen ist, sehen einige Gerichte so (z.B. AG Weinheim, Urt. v. 8.1.2003 – 2 C 365/02; AG St. Wendel, Urt. v. 26.4.2000 – 4 C 98/00; AG Montabaur, Urt. v. 25.9.1997 – 10 C 436/97), es gibt aber, wie so oft, auch andere Meinungen. So wird auch vertreten, dass Brillen eine begrenzte Lebensdauer haben und der Abnutzung unterliegen (OLG Rostock, Urt. v. 25.6.2010 – 5 U 195/09; AG Breisach, Urt. v. 20.5.1994 –1 C 44/94; AG Siegburg, Urt. v. 19.8.2004 – 114 C 32/04).
Sofern ein Abzug vorzunehmen ist, richtet sich die Höhe des Abzugs nach dem Wertgewinn, den die neue Sache im Vergleich zur alten Sache im unbeschädigten Zustand für den Geschädigten hat.
Meist gibt es keinen Gebrauchtwarenmarkt für eine vergleichbare gebrauchte Sache und der Geschädigte wird auf die Anschaffung einer neuen Sache verwiesen. Für die Berechnung ist das Alter sowie die Abnutzung der beschädigten Sache zu bestimmen. Der Vermögensvorteil wird dann nach der verlängerten Lebensdauer der neuen Sache bestimmt. Die längere Lebensdauer wird zur Gesamtlebensdauer ins Verhältnis gesetzt und prozentual vom Neupreis zum Zeitpunkt des Schadens in Abzug gebracht.
Beispiel:
Die beschädigte zwei Jahre alte Brillengestell samt Gläsern hätte der Geschädigte ohne den Unfall noch 4 Jahre nutzen können. Der Neupreis der Brille beträgt 600 EUR. Die längere Nutzungsmöglichkeit von 2 Jahren für die neue Brille macht einen Anteil von 33,3 % der Gesamtlebensdauer von 6 Jahren aus. Demnach sind 200 Euro vom Neupreis abzuziehen.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Nicht jeder Abzug im Rahmen des Vorteilsausgleichs durch die Versicherung ist vom Geschädigten hinzunehmen. Abzustellen ist bei Verschleißteilen auf das Alter des Ersatzteils und ob eine Auswechslung von Geschädigten ohnehin bald hätte vorgenommen werden müssen. Zudem kann der Abzug, wenn es sich um eine Sache handelt, auf die der Geschädigte aus medizinischen Gründen angewiesen ist (z. B. Brille, Kontaktlinse, Hörgerät, Zahnersatz, Prothese, Herzschrittmacher) unzumutbar sein.
Sofern ein Abzug vorzunehmen ist, kann der Geschädigte, da er beweisbelastet ist, der gegnerischen Haftpflichtversicherung folgende als Muster dienende Aufstellung vorlegen:
Beschädigter Gegenstand | Kaufdatum | Anschaffungspreis | Lebensdauer | Neupreis zum Zeitpunkt des Unfalls | Abzug neu für Alt in % und Euro in 2023 |
Brille | 2021 | 550 Euro | 6 Jahre | 600 | 33,3 % = 200 Euro |
Der Geschädigte sollte zudem Fotos des beschädigten Gegenstands vorlegen. Sofern er den Kaufbeleg noch hat, dient dieser als Nachweis für das Kaufdatum. Den Preis, den der Geschädigte jetzt aufwenden muss, um den beschädigten Gegenstand wieder anzuschaffen, kann der Geschädigte durch Vorlage der entsprechenden Internetauszüge oder durch den konkreten Kaufbeleg nachweisen.