Kann der Geschädigte nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall sein Kraftfahrzeug nicht mehr nutzen, hat er Anspruch darauf, wieder mobil zu sein. Er kann entweder ein gleichartiges Fahrzeug anmieten oder, wenn er darauf verzichtet, Nutzungsausfall geltend machen. Bei der Frage, für wie lange der Geschädigte Anspruch auf Nutzungsausfall hat, ist bei einem Reparaturschaden (der hier behandelt wird) wie folgt zu unterscheiden:
- Ist das Fahrzeug verkehrssicher, bekommt der Geschädigte Nutzungsausfall für die Dauer der Reparatur. Nur während dieser Zeit steht ihm sein Fahrzeug ja auch nicht zur Verfügung.
- Ist das Fahrzeug nicht verkehrssicher, berechnet sich die Dauer wie folgt: Unfalltag bis Eingang Gutachten beim Geschädigten – zzgl. Überlegungszeit von ein bis zwei Tagen – zzgl. Reparaturdauer
Im Rahmen der Schadensminderungspflicht muss der Geschädigte das Gutachten nach dem Unfall in ein bis zwei Tagen in Auftrag geben. Wartet er länger, kann er für die (selbst verschuldete) Verzögerung keinen Nutzungsausfall geltend machen.
Was aber ist, wenn sich Verzögerungen bei der Reparatur ergeben? Kann der Geschädigte trotzdem für die gesamte Dauer der Reparatur Ausfall verlangen? Zu dieser Frage hatten wir aktuell für eine Mandantin ein Urteil vor dem Amtsgericht Kaufbeuren (Urteil vom 23.03.2021, Az. 2 C 1053/20) erstritten.
Sachverhalt:
Die Klägerin begehrte Nutzungsausfall für die Dauer von insgesamt 28 Tagen wie folgt:
- für den Unfalltag am 18.03.2020 (1 Tag)
- für den Zeitraum zwischen Schadensfeststellung vom 26.03. bis zum Reparaturende am 21.04.2020 (27 Tage):
Auftrag an Gutachter am 26.03.2020
Fertigstellung am 27.03.2020
Reparaturdauer vom 30.03.2020 bis 21.04.2020
Während der Reparatur fand zudem eine Nachbesichtigung durch den Gutachter statt, da es zu einer Reparaturerweiterung gekommen war.
Außergerichtlich hatte die beklagte Haftpflichtversicherung nur zwölf Tage ausgeglichen, sodass in der Klage noch weitere 16 Tage eingefordert wurden.
Die beklagte Versicherung hat der Klägerin einen Verstoß gegen die Schadensminderungsplicht vorgeworfen. Dadurch, dass die Gutachtensbeauftragung erst am 26.03.2020, also acht Tage nach dem Unfall, erfolgt sei, sei es zu einer Verzögerung gekommen. Wäre von der Klägerin nicht acht Tage zugewartet worden, wäre der Reparaturzeitraum nicht auf die Osterfeiertage gefallen. Diese Verzögerung habe der Schädiger nicht zu vertreten. Die Klägerin hätte die Werkstattauslastung im Vorfeld auch prüfen müssen.
Entscheidung:
Die Beklagte kann der Klägerin keinen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vorwerfen.
Dies ergibt sich auch aus der Korrespondenz zwischen den Parteien. Am 24.03.2020 wandte sich die Haftpflichtversicherung per E-Mail an die Klägerin und forderte Unterlagen zur unverbindlichen Bezifferung der Schadenshöhe (z.B. Kostenvoranschlag, Reparaturrechnung, Sachverständigengutachten) an. Gerade einmal zwei Tage später war die Klägerin der Aufforderung nachgekommen und hat das Sachverständigengutachten beauftragt. Ein Zeitraum von maximal zwei Tagen ist hier als absolut angemessen zu erachten. Eine schuldhafte Verzögerung durch die Klägerin liegt damit nicht vor.
Für den weiteren Verlauf der Reparatur, insbesondere etwaige Fehler der Reparaturwerkstatt, die zu einer weiteren Verzögerung, insbesondere auch über die Osterfeiertage, geführt haben, ist die Klägerin im Rahmen des Werkstattrisikos nicht verantwortlich.
Die Beklagte hat deswegen die noch ausstehende Nutzungsentschädigung zu begleichen.
Für das Autohaus/die Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Verzögerung im Reparaturbetrieb gehen bei der Frage der Ausfalldauer nicht zu Lasten des Geschädigten. Gefährlich wird es nur dann, wenn der Geschädigte sein verkehrssicheres Fahrzeug in der Werkstatt abstellt und die Ersatzteile noch gar nicht bestellt sind. In solch einem Fall muss der Geschädigte die Ersatzteile beschaffen lassen, und erst, wenn diese eingetroffen sind, darf das Fahrzeug in die Werkstatt.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Im Rahmen der Schadensminderungspflicht ist der Geschädigte gehalten, das Sachverständigengutachten zeitnah nach dem Unfall in Auftrag zu geben. Kommt es dann bei der anschließenden Reparatur zu Verzögerungen – sei es durch Erweiterungen der Reparatur oder Lieferverzögerungen bei Ersatzteilen – fällt das unter das sog. „Werkstattrisiko“, für das der Schädiger einzustehen hat.