Nach einem unverschuldeten Autounfall darf sich der Geschädigte bei einem Totalschaden für die Dauer der Wiederbeschaffung seines verunfallten Autos einen Mietwagen nehmen; die Kosten hierfür muss die gegnerische Haftpflichtversicherung erstatten. Um den Nutzungswillen des Geschädigten nachweisen zu können, verlangen die Haftpflichtversicherungen vor Erstattung der Mietwagenkosten meistens einen Nachweis der Ersatzbeschaffung. Ist dies richtig?
Zur Geltendmachung der Mietwagenkosten – selbiges gilt natürlich für die Geltendmachung der Nutzungsausfallentschädigung – muss der Geschädigte grundsätzlich seinen Nutzungswillen und die Nutzungsmöglichkeit nachweisen.
Den Nutzungswillen wollen die Haftpflichtversicherungen dadurch dokumentiert haben, dass der Geschädigte belegt, dass er tatsächlich eine Ersatzbeschaffung vorgenommen hat. So wird der Geschädigte beispielsweise aufgefordert, die Zulassungsbescheinigung Teil I oder II (früher: Fahrzeugbrief-/schein) vorzulegen, bevor die Rechnung über die Mietwagenkosten erstattet wird.
Das ist so aber nach der Rechtsprechung nicht ganz richtig, denn:
Der Nutzungswille kann schlichtweg vermutet werden, so das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 22.1.2007, Az. I-1 U 151/06. Der Senat räumt in diesem Urteil mit der von der Versicherungswirtschaft immer wieder vorgetragenen Mähr, der Nutzungswille manifestiere sich ausschließlich in einer erfolgten Ersatzbeschaffung oder Reparatur, auf. Das OLG stellt klar, dass dem Geschädigten nach einem Verkehrsunfall auch dann eine Nutzungsausfallentschädigung zusteht, wenn er darlegt und beweist, dass er das verunfallte Fahrzeug im Zeitraum nach dem Unfall hätte nutzen wollen. Auf eine tatsächlich erfolgte Ersatzbeschaffung (die den Nutzungswillen selbstverständlich weiterhin beweist) käme es danach nicht mehr an. Genauso sehen das das LG Karlsruhe (Urteil vom 9.5.2005, Az. 5 S 161/04) und das LG Braunschweig (Urteil vom 19.8.2005, Az. 8 S 385/05).
Ebenso hat auch der BGH klargestellt, dass ohne Ersatzbeschaffung Nutzungsausfallentschädig für die Zeit der prognostizierten Ersatzbeschaffungsdauer gezahlt werden muss (BGH, Urteil v. 10.6.2008, Az. VI ZR 248/07).
Oftmals reicht auch eine Erklärung des Geschädigten aus, warum er mit der Ersatzbeschaffung gewartet hat. Dabei können die unterschiedlichsten Gründe vorliegen.
So hat das AG Berlin-Mitte in seinem Urteil vom 3.5.2006, Az. 110 C 3355/05, festgehalten: „Da die Klägerin ihr Fahrzeug vor dem Unfall genutzt hat und keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Klägerin auch ohne den Unfall ihr Fahrzeug ab dem 23. Oktober 2003 nicht mehr genutzt hätte, ist davon auszugehen, dass sie auch für die Zeit nach dem Unfall noch einen Nutzungswillen hatte. Die Klägerin hat auch nachvollziehbar dargelegt, dass sie nur deshalb so lange mit der Ersatzbeschaffung gewartet hat, weil sie den Unfall zum Anlass genommen hat, ein höherwertiges Fahrzeug zu erwerben.“
Ebenso das AG Bochum mit Urteil vom 19.11.2020, Az. 45 C 139/20: Der Geschädigte war in diesem Fall ein älterer Herr, der durch den Unfall verunsichert war. Während der Mietwagennutzung bemerkte er, wie er im Straßenverkehr immer ängstlicher wurde und so hat er nach Rücksprache mit seinem Arzt das Autofahren aufgegeben. Dennoch hat allein die Nutzung des Mietwagens gezeigt, dass der Geschädigte einen Nutzungswillen hatte, so das Gericht.
Auch wer nach einem Unfall finanziell nicht in der Lage ist, ein Ersatzfahrzeug zu kaufen, bis der gegnerische Versicherer zahlt, und das mitgeteilt hat, verzichtet nicht freiwillig auf das Fahrzeug, so das LG Bückeburg mit Urteil vom 23.10.2020, Az. 1 O 136/19. Wenn der Geschädigte keinen Mietwagen nimmt und der Ausfall mangels Zahlung der gegnerischen Versicherung monatelang andauert, kann nicht auf einen fehlenden Nutzungswillen geschlossen werden, dieser wird vielmehr vermutet.
Ebenso das OLG München mit Urteil vom 27.5.2020, Az. 10 U 6795/19: Wenn der Geschädigte zur Ersatzbeschaffung aus eigenen Mitteln nicht in der Lage ist, spricht es nicht gegen seinen Nutzungswillen, wenn er sich erst drei Monate nach dem Unfall mit Totalschadenfolge ein Fahrzeug anschafft. Denn erst mit dem kurz zuvor gezahlten Schadenersatzbetrag konnte der Geschädigte das Fahrzeug erwerben.
Für das Autohaus als Vermieterunternehmen heißt das Folgendes:
Auch wenn der Geschädigte sich nicht sofort nach dem Unfall ein Ersatzfahrzeug anschafft, wird der Nutzungswille vermutet und die Mietwagenkosten sind von der gegnerischen Versicherung zu erstatten.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte hat Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten, auch wenn er sich nicht oder nicht unmittelbar nach dem Unfall ein Ersatzfahrzeug anschafft. Der Nutzungswille wird vermutet. Gibt es zudem Gründe, sollte der Geschädigte diese der gegnerischen Versicherung mitteilen. Selbiges gilt natürlich auch für den Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung.
Für den umgekehrten Fall, dass der Geschädigte eine Ersatzbeschaffung vorgenommen hat und die Versicherung zur Erstattung der Mietwagenkosten diesen Nachweis anfordert, bietet es sich aus Praktikersicht an, diesen der Einfachheit halber an die Versicherung zu schicken als lange zu diskutieren.