

Der Frühling naht, und damit werden auch Pferde im öffentlichen Verkehrsraum wieder vermehrt in Erscheinung treten: Pferde, die auf der Straße geritten, vor eine Kutsche gespannt oder auch am Halfter geführt werden. Auf oder an Straßen neigen Pferde ihrer Natur nach zu „unerwarteten“ Reaktionen auf andere Verkehrsteilnehmer. Es kann zu panikartigem Scheuen und Wegspringen kommen, so dass zumindest vorübergehend der führende Tierhüter, Reiter oder Kutschfahrer keine Kontrolle mehr über das Tier hat.
Als Auslöser einer solchen Reaktion reicht es schon, wenn ein Fußgänger in der Nähe des Pferdes einen Regenschirm aufspannt oder ein Jogger zu nahe an einem Pferd vorbeiläuft. Auch Nordic Walker mit schnellem Schritt und langen Stöcken können einem Pferd gefährlich erscheinen. Ebenso wirken Autos, die Pferde mit erheblicher Geschwindigkeit passieren, oder Zweiräder mit einer lauten Auspuffanlage auf Pferde bedrohlich.
Wenn ein Pferd scheut und es dabei zu einem Schaden kommt, ist die Sachverhaltsfeststellung oft komplexer als in anderen Schadensersatzfällen. Auch Haftungsfragen müssen geklärt werden, insbesondere ob und inwieweit sich die typische Tiergefahr realisiert hat.
Unter Realisierung der typischen Tiergefahr ist zu verstehen, dass ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbständiges Verhalten des Tieres zu einem Schadenseintritt führt oder zumindest mitursächlich ist. Ist dies der Fall, ist die Tierhalterhaftung nach §§ 833 f. BGB einschlägig.
Zwei Urteile schauen wir uns nachfolgend genauer an:
1) LG München I, Urteil vom 19.10.2020, Az. 19 O 6004/20 (nicht rechtskräftig)
Sachverhalt:
Die Klägerin fuhr mit ihrem Fahrrad auf einem Gehweg in München. Vor ihr ritt der Beklagte auf seinem Achal-Tekkiner, ebenfalls auf dem Gehweg. Der Gehweg war weder für Fahrräder noch für Reitpferde freigegeben. Die Klägerin näherte sich dem Pferd von hinten, klingelte dabei und setzte zum Überholen an. Infolge einer Berührung des Vorderreifens des Fahrrads mit dem leicht erhöhten Randstein links neben dem Gehweg stürzte sie und brach sich den linken Oberschenkelhals. Die Klägerin machte gegen den Beklagten Ansprüche aus Tierhalterhaftung sowie deliktische Ansprüche geltend.
Entscheidung:
Zwischen den Parteien war streitig, ob das Pferd während eines Überholvorgangs nach links – in Richtung der Klägerin – gezogen war und sie deswegen in Richtung des Randsteins ausweichen musste. Das Gericht hörte beide Parteien zum Unfallhergang an und war danach nicht überzeugt, dass der Vortrag einer Seite plausibler war als der andere, oder dass eine Partei glaubwürdiger war. Nachdem die Klägerin beweisbelastet war, ging dies zu ihren Lasten.
Ihren Anspruch konnte die Klägerin nach Auffassung des Gerichts auch nicht darauf stützen, dass der Beklagte trotz des Klingelns nicht nach rechts auswich, denn es bestand hierzu keine Verpflichtung. Auch unerheblich war, dass der Beklagte verbotswidrig auf dem Gehweg ritt, da sich das Reiten auf dem Gehweg nicht bei der Unfallverursachung auswirkte. Da die Klägerin zudem selbst verbotswidrig auf dem Gehweg fuhr, konnte sie sich auf einen solchen Verkehrsverstoß des Beklagten nicht berufen.
Das Gericht merkte schließlich an, dass etwaige Ansprüche der Klägerin im Übrigen wegen der Schwere ihres Mitverschuldens ausgeschlossen wären, weil sie jedenfalls den Mindestabstand beim Überholen nicht eingehalten hätte. Zu Pferden ist nach Auffassung des Gerichts bei einem Überholvorgang regelmäßig ein Mindestabstand von 1,5 bis 2 Meter einzuhalten, um auf plötzliche Reaktionen des Tieres reagieren zu können. Ein Abstand wie hier von 30 – 40 cm genügt jedenfalls nicht.
2) LG Frankenthal, Urteil vom 05.06.2020, Az. 4 O 10/19
Sachverhalt:
Der Kläger befuhr mit seinem Trike (dreirädriges Liegefahrrad) einen Fahrradweg. Die Zeugen ritten mit zwei Pferden der Beklagten auf dem Fahrradweg in entgegengesetzter Richtung. Als die Reiter den Trikefahrer erkannten, wendeten sie ihre Pferde. Als der Kläger links an den Pferden vorbeifahren wollte, schlug das von einer Zeugin geführte Pferd aus und traf das Trike. Der Kläger fiel mit dem Trike in das neben dem Fahrradweg befindliche Feld und das Trike wurde beschädigt. Der Kläger begehrte Schadensersatz sowie ein angemessenes Schmerzensgeld.
Entscheidung:
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Unter Zurechnung eines Mitverschuldens in Höhe von 50 % wurden dem Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld zugesprochen.
Das Gericht sah den Haftungsgrund des § 833 S. 1 BGB als erfüllt an. Der Kläger wurde durch das Pferd verletzt und hierbei wurde auch das Trike beschädigt. Durch den Huftritt des Pferdes hatte sich die typische Tiergefahr realisiert.
Dem Kläger war jedoch gem. § 254 BGB ein Mitverschulden anzulasten.
Ganz konkret war ihm ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO anzulasten. Auch auf Radwegen müssen Radfahrer beim Überholen einen ausreichenden Seitenabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern einhalten. Welcher Abstand geboten ist, hängt von den konkreten Bedingungen des Einzelfalls ab. Der Abstand muss so groß sein, dass Schreckreaktionen der überholten Verkehrsteilnehmer nicht zu erwarten sind. Beim Überholen von Pferden und Zugtieren ist gehörig Abstand zu halten, weil mit einer plötzlichen Reaktion des Tiers gerechnet werden muss, so dass ein Seitenabstand von wenigstens 1,5 bis etwa 2 Metern einzuhalten ist (vgl. OLG Celle, Urteil vom 19.12.2002, Az. 14 U 94/02).
Diesen Seitenabstand hatte der Kläger nicht eingehalten. Er hatte selbst angegeben, dass er in einem Abstand von einem „guten Meter“ an dem Pferd vorbeigefahren ist. Als das Pferd ausgetreten habe, sei er mit seinem Oberkörper vielleicht noch 30 – 40 cm seitlich hinter den Hinterbeinen gewesen. Dass ein größerer Abstand aufgrund der geringen Breite des Radwegs nicht eingehalten werden konnte, konnte den Kläger nicht entlasten.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Grundsätzlich haftet ein Pferdehalter aus der Gefährdungshaftung des § 833 BGB. Sofern das Verhalten des Tiers für den Schaden ursächlich ist, hat der Geschädigte einen Schadenersatzanspruch. Allerdings kann ein Mitverschulden gegeben sein, wenn der Geschädigte als Radfahrer mit zu geringem Abstand an dem Pferd vorbeifährt. Denn: Beim Vorbeifahren an einem Reiter hat der Radfahrer einen Seitenabstand von wenigstens 1,5 m bis etwa 2 Meter einzuhalten, weil er mit einer plötzlichen Reaktion des Pferdes rechnen muss.