

Gerade in den 130% – Fällen fordert die gegnerische Haftpflichtversicherung nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall gerne eine Nachbesichtigung des Unfallfahrzeugs durch einen eigenen Gutachter. Damit will sie sich davon überzeugen, dass fach- und sachgerecht repariert wurde. Meist wird als Argument vorgebracht, dass der Schaden anhand der Unterlagen nicht nachvollzogen werden könne. Solange dann keine Besichtigung vom Geschädigten gewährt wird, verweigert die Versicherung die Zahlung.
Ist dies rechtens und hat die Haftpflichtversicherung überhaupt ein Recht zur Nachbesichtigung?
Nein, ein generelles Nachbesichtigungsrecht gibt es nach verbreiteter Auffassung der Gerichte nicht:
Der gegnerische Haftpflichtversicherer hat kein Recht auf eine Nachbesichtigung, wenn er nicht anhand einzelner aus seiner Sicht nicht nachvollziehbarer Schadenanteile konkret begründet, warum er nachbesichtigen möchte (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 03.03.2015, Az. 11 O 166/14).
Und: Die bloße Angabe, die Kalkulation des Sachverständigen sei nicht nachvollziehbar, genügt nicht, um ein Nachbesichtigungsrecht mit der Folge einer zulässigen gänzlichen Zahlungsverweigerung zu begründen (vgl. LG Berlin, Urteil vom 13.07.2011, Az. 42 0 22/10).
Anderer Auffassung ist das OLG Saarbrücken (Urteil vom 29.05.1208, Az. 4 W 9/18) und stellt den Versicherer von einer Begründung des Nachbesichtigungsverlangens prinzipiell frei. Könne der Haftpflichtversicherer begründete Zweifel an der Richtigkeit des vorgelegten Privatgutachtens haben, verstoße der Geschädigte gegen die ihm obliegende Rücksichtspflicht, wenn er dem vom Versicherer beauftragten Sachverständigen, ohne einen berechtigten Grund zu haben, die Besichtigung des Fahrzeugs verwehre. Ein „grundloses, dilatorisches Verhalten“ des Versicherers sei nicht zu besorgen. Haftpflichtversicherer würden das für sie kostenpflichtige Nachbesichtigungsverlangen nicht aus sachfremden Erwägungen, insbesondere zur Verzögerung der Regulierung, einsetzen.
Es gibt also bisher – abgesehen von der Meinung des OLG Saarbrücken – keine Nachbesichtigung ohne konkreten Einwand. Nur wenn der Versicherer konkret einwendet, welche Positionen im Gutachten für ihn nicht nachvollziehbar sind, kann sich daraus ein Nachbesichtigungsrecht ergeben. Der Versicherer muss genau begründen, warum er das verunfallte Objekt selbst noch einmal in Augenschein nehmen will. Denn er hat ja mit dem Schadengutachten des Geschädigten schon eine Beurteilungsgrundlage in der Hand (vgl. AG Schwäbisch-Gmünd, Urteil vom 25.03.2013, Az. 4 C 1029/12; LG Berlin, Urteil vom 13.07.2011, Az. 42 O 22/10).
Ebenso das LG Aachen mit Beschluss vom 23.08.2017, Az. 2 T 173/17: Ein Recht auf Nachbesichtigung kann sich nur ergeben, wenn sich aus den übermittelten Unterlagen (Sachverständigengutachten und Reparaturrechnung) begründete Zweifel für eine nicht sach- und fachgerechte Reparatur ergäben.
In der Praxis sollte das Thema Nachbesichtigung aber nicht nur rechtlich, sondern auch taktisch angegangen werden. Wenn der Geschädigte sich nämlich nicht auf die Nachbesichtigung einlässt und die Haftpflichtversicherung deswegen nichts bezahlt, bleibt dem Geschädigten nur eine Klage, in der dann der volle Betrag gefordert werden muss. So kann es dauern, bis der Geschädigte zu seinem Geld kommt.
Wenn die gegnerische Haftpflichtversicherung eine Nachbesichtigung fordert, gibt es für den Geschädigten zwei Möglichkeiten zu reagieren:
- Der Geschädigte verweigert die Nachbesichtigung, was rechtlich zulässig ist, wenn die Versicherung keine vernünftigen Gründe für die begehrte Nachbesichtigung aufführt. Damit tut sich der Geschädigte aber meist nichts Gutes. Denn die Versicherung verweigert die Zahlung der Reparaturkosten oder kürzt massiv und der Geschädigte muss klagen.
- Der Geschädigte lässt die Nachbesichtigung zu. Er sollte dann aber, damit er dem Gutachter der Versicherung nicht völlig ausgeliefert ist und das Prinzip der Waffengleichheit gewahrt bleibt, seinen eigenen Sachverständigen, der das Gutachten für ihn erstellt hat, zu dem Termin mitnehmen. Der eigene Gutachter kann dann bei der Nachbesichtigung zu den Fragen des Versicherungsgutachters Stellung nehmen.
Auch sind die Gutachterkosten, die für Teilnahme bei der Nachbesichtigung entstehen, von der gegnerischen Versicherung zu erstatten, so das AG Mainz mit Urteil vom 31.05.2016, Az. 80 C 73/16. Wenn der Schadengutachter den Aufwand nach Zeit (im Urteilsfall 1,25 Stunden mit einem Stundensatz von 132,00 Euro) abrechnet, ist das schadenrechtlich nicht zu beanstanden.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Das Autohaus sollte sich mit dem Geschädigten besprechen, ob die Nachbesichtigung zugelassen wird. Grundsätzlich muss der Geschädigte einer Nachbesichtigung ohne konkreten Grund nicht zustimmen; eine Verweigerung hilft dem Geschädigten aber meist nicht weiter und das Autohaus wartet, sofern der Geschädigte nicht in Vorleistung tritt, auf die Bezahlung der Reparaturrechnung. Deswegen dürfte die Nachbesichtigung der bessere Weg sein.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige sollte bei der Nachbesichtigung anwesend sein, um eventuelle Fragen des Gutachters der Versicherung zu beantworten. Die Kosten, die für den Termin entstehen, kann der Sachverständige abrechnen – am besten nach Aufwand.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Am sinnvollsten dürfte es sein, die Nachbesichtigung zuzulassen und den eigenen Gutachter zum Termin mitzunehmen. Die Kosten, die der Sachverständige dem Geschädigten dafür in Rechnung stellt, kann der Geschädigte als Teil des Schadensersatzes bei der gegnerischen Versicherung geltend machen.