Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall hat der Unfallgeschädigte genug zu regeln. Mitunter kommt es sogar vor, dass die gegnerische Haftpflichtversicherung den Unfallgeschädigten als erstes kontaktiert und die Schadenssteuerung für den Geschädigten übernehmen will. Sie bietet dem Geschädigten unter anderem an, den Schaden am Auto durch einen eigenen Gutachter schätzen zu lassen. Dass die Schadenshöhe dabei geringer ausfällt, als wenn der Geschädigte selbst einen unabhängigen Gutachter beauftragen würde, dürfte auf der Hand liegen.
Hat der Geschädigte trotz Begutachtung durch die gegnerische Haftpflichtversicherung das Recht, einen eigenen Sachverständigen einzuschalten?
Die Antwort lautet: Ja.
Dass die Versicherung dem Geschädigten einen in ihrem Lager stehenden Sachverständigen aufdrängt, hindert die Einschaltung eines neutralen Gutachters nicht (vgl. AG Bochum, Urteil vom 15.12.2005, Az. 44 C 365/05; AG Rheinbach, Urteil vom 10.12.2018, Az. 26 C 183/17).
Eine Ausnahme gibt es:
Wenn sich der Geschädigte mit der Entsendung des Gutachters durch die Versicherung ausdrücklich einverstanden erklärt hat, ihr also die Auswahl des Sachverständigen bewusst überlassen hat, ist das als eindeutiger Verzicht auf ein eigenes Schadengutachten zu deuten (vgl. AG Wuppertal, Urteil vom 01.06.2015, Az. 32 C 8/14). Dieses Einverständnis und damit den Verzicht auf einen eigenen Gutachter muss aber der Versicherer beweisen, entschied das Amtsgericht Ludwigslust mit Urteil vom 07.12.2017, Az. 41 C 110/17.
Doch:
Selbst wenn ein Verzicht vorläge, hat der Geschädigte wiederum das Recht, ein eigenes Gutachten einzuholen, wenn das ursprünglich im Einverständnis mit dem Geschädigten von der Versicherung beauftragte Haftpflichtgutachten offensichtlich falsch und oberflächlich gemacht ist, so das Amtsgericht Neumarkt in der Oberpfalz mit Urteil vom 17.06.2009, Az. 1 C 169/09.
Ganz genauso hat es das Amtsgericht München (vgl. AG München, Urteil vom 24.07.2017, Az. 335 C 7525/17) gesehen: Hier dauerte die Begutachtung durch den Sachverständigen des Versicherers nur etwa 15 Minuten; es wurden keine Lichtbilder angefertigt und das Fahrzeug von unten nicht begutachtet. Ebenfalls fehlte eine Stellungnahme zur Wertminderung.
Kostenvoranschlag plus Versicherungsgutachten plus eigenes Gutachten
Manchmal reicht der Geschädigte auch nur Kostenvoranschlag bei der gegnerischen Versicherung ein. Sollte daraufhin die gegnerische Versicherung einen eigenen Sachverständigen schicken, darf der Geschädigte wiederum auf Kosten der Versicherung ein Gutachten einholen. Das hat das Amtsgericht Rheinberg mit Urteil vom 24.04.2009, Az. 12 C 676/07 entschieden.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Kommt ein Kunde mit einem Gutachten, das von der gegnerischen Versicherung in Auftrag gegeben worden ist, ins Autohaus, sollte das Autohaus den Kunden darüber aufklären, dass er grundsätzlich das Recht auf ein eigenes Gutachten hat.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Geschädigten kann der Sachverständige in einem Haftpflichtfall grundsätzlich immer ein Gutachten erstellen; die Kosten des Sachverständigen sind Teil des Schadensersatzes, den der Geschädigte bei der Versicherung geltend macht.
Es gibt nur eine Ausnahme: Der Geschädigte war ausdrücklich einverstanden damit, dass die gegnerische Versicherung einen Gutachter beauftragt und es gibt keinerlei begründete Zweifel an der Richtigkeit dieses Gutachtens.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte sollte sich von der gegnerischen Versicherung keinen Bären (Gutachter) aufbinden lassen. Und selbst wenn die gegnerische Versicherung einen Gutachter geschickt hat, hat der Geschädigte – sofern er nicht ausdrücklich damit einverstanden war – immer noch das Recht, einen eigenen Gutachter zu beauftragen.