

Bislang haben wir im Rahmen unserer Newsletter überwiegend Unfälle zwischen PKWs behandelt. Aber natürlich gibt es auch andere Unfallbeteiligte wie Motorradfahrer, Fahrradfahrer oder Fußgänger. Bei Unfällen mit Fahrradfahrern beispielsweise sind in haftungsrechtlicher Hinsicht einige Besonderheiten zu beachten.
Ein Fahrrad hat zunächst einmal keine wie einem Kraftfahrzeug anhaftende Betriebsgefahr. Kraftfahrzeughalter haften nämlich nach § 7 StVG auch ohne Verschulden für Schäden, die aus dem Betrieb des Kraftfahrzeuges folgen. Ein Ausgleich der beidseitigen Gefährdungshaftungen findet über § 17 StVG (Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge) statt.
Bei Unfällen, an denen ein Radfahrer beteiligt ist, ist das anders: Ein Radfahrer haftet nach § 823 BGB nur für Verschulden. Eine Betriebsgefahr allein für das Führen des Rades muss sich der Radfahrer nicht anrechnen lassen. § 7 StVG bezieht sich nur auf Kraftfahrzeuge, eine entsprechende Vorschrift für Radfahrer gibt es nicht. Ist der geschädigte Radfahrer an dem Unfall mit schuld, so hat er den Schaden nach § 254 BGB und § 9 StVG anteilig zu tragen.
Eine Kürzung der Ansprüche des geschädigten Fahrradfahrers kann nur dann vorgenommen, wenn ihn ein Mitverschulden am Unfall trifft. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Radfahrer einen Radweg, bei dem die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet ist (§ 2 Abs. 4 S. 2 StVO), nicht benutzt. Daneben muss der Radfahrer auch die allgemeinen Regeln wie das Zeichengeben, die Wartepflicht und beim Abbiegen die Sondervorschriften des § 9 Abs. 2 StVO beachten.
Aber führt auch das Fahren ohne Helm zu einem Mitverschulden?
Teilweise wird von den gegnerischen Haftpflichtversicherungen argumentiert, dass ein Fahrradfahrer ein Mitverschulden an seinen eigenen Verletzungen hat, wenn er keinen Helm trägt. Denn es wäre zu keiner oder weniger schwerwiegenden Verletzungen gekommen wäre, wenn er einen Helm getragen hätte.
Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 17.6.2014, Az. VI ZR 281/13, führt das Nichttragen eines Fahrradhelms nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens. Denn: Grundsätzlich gibt es keine gesetzliche Verpflichtung, einen Helm als Fahrradfahrer zu tragen. Ein Fahrradfahrer muss sich „verkehrsrichtig“ verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Aber: Dafür muss das Tragen des Helms dem „allgemeinen Verkehrsbewusstsein“ entsprechen. Und dem war (zum Zeitpunkt des Urteils) nicht so.
Das hat auch das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg mit Urteil vom 28.8.2020, Az. 13 U 1187/20, so gesehen: Zumindest im Alltagsradverkehr begründet das Nichttragen eines Helms nach wie vor kein Mitverschulden des verletzten Radfahrers. Eine allgemeine Verkehrsauffassung des Inhalts, dass Radfahren eine Tätigkeit darstellt, die generell derart gefährlich ist, dass sich nur derjenige verkehrsgerecht verhält, der einen Helm trägt, besteht weiterhin nicht.
Auch das Kammergericht (KG) Berlin geht in seinem Hinweisbeschluss vom 16.10.2024, Az. 25 U 52/24, immer noch davon aus, dass das Nichttragen eine Fahrradhelms kein Mitverschulden begründet. Ein Mitverschulden könne nur dann vorliegen, wenn im Unfallzeitpunkt nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren zum eigenen Schutz erforderlich ist. Zur Beurteilung einer allgemeinen Überzeugung können Umfrageergebnisse, Statistiken und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen herangezogen werden.
Die Bundesanstalt für Straßenwesen führt seit Mitte der 70er Jahre repräsentative Verkehrsbeobachtungen im gesamten Bundesgebiet durch, bei denen u.a. das Tragen von Schutzhelmen und Schutzkleidung bei Zweiradbenutzern erfasst wird. Danach trugen in 2022, im Jahr des Unfalls, über den das KG zu entscheiden hatte, innerorts 34% der Fahrer konventioneller (also nicht elektrisch unterstützter) Fahrräder aller Altersgruppen einen Schutzhelm (Publikation der Bundesanstalt für Straßenwesen „Gurte, Kindersitze, Helme und Schutzkleidung – 2022“). In diese Quote einberechnet sind – anders als in Erhebungen früherer Jahre – bereits Fahrer in Sportkleidung, von denen nach den Erkenntnissen früheren Erhebungen ein weit höherer Anteil mit Helm fährt.
Bei einer somit allenfalls zugrunde zulegenden Quote von 34% kann von einem allgemeinen Bewusstsein, dass das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren außerhalb von sportlichen Veranstaltungen zum eigenen Schutz erforderlich ist, damit auch für das Unfalljahr 2022 nicht ausgegangen werden, so das KG.
Allenfalls bei auf der Straße fahrenden Radrennsportlern (ebenso Mountainbiker und andere Radfahrer mit erhöhtem Gefährdungspotential) kann ein Mitverschulden bei Nichttragen eines Helmes anzunehmen sein.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Das Nichttragen eines Fahrradhelms führt (jedenfalls für einen Unfall im Jahr 2022 entschieden) nicht zu einem Mitverschulden, da nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein das Tragen eines Helms beim Fahrradfahren zum eigenen Schutz nicht erforderlich ist.
Nichtsdestotrotz sollte sich ein Fahrradfahrer, der in einen Unfall verwickelt ist, bei der Regulierung des Unfalls einen Anwalt zu Hilfe nehmen, der auf das Verkehrsrecht spezialisiert ist. Fragen zu Haftung und auch die Geltendmachung des Sach- und Personenschadens gehören in die Hände eines Spezialisten.