

Bei einem unverschuldeten Unfall darf der Geschädigte auf der Grundlage des im Schadengutachten festgestellten Restwerts ohne Rücksprache mit dem Versicherer sein verunfalltes Auto verkaufen, so die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), zuletzt mit Urteil vom 27.09.2016, VI ZR 673/15. Mit Urteil vom 25.06.2019, Az. VI ZR 358/18, hat der BGH dies im Wesentlichen bestätigt, aber präzisiert, dass bei der Restwertermittlung die Erkenntnismöglichkeiten des Eigentümers zu berücksichtigen sind.
Dies bedeutete insbesondere seit dem Urteil des BGH vom 02.07.2024, Az. VI ZR 211/22, dass einem Geschädigten, bei dem es sich um ein Unternehmen handelt, welches sich jedenfalls auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst, die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote zuzumuten ist. Unter diese Gruppen fallen Autohäuser, Leasinggesellschaften Autovermieter, Carsharing-Unternehmen, Unternehmen mit großen Fahrzeugflotten und Restwerthändler, vgl. unser Newsletter 11/2024.
Was aber gilt, wenn das Fahrzeug des Geschädigten finanziert ist?
Die Instanzenrechtsprechung hat Geschädigte, deren Fahrzeug finanziert ist, bislang nicht der o.g. Fallgruppe zugeordnet. So hatten mehrere Gerichte (u.a. das OLG München, Urteil vom 06.02.2025, Az. 24 U 3140/24e und dasOLG Hamm, Urteil vom 31.1.2024, Az. 11 U 9/23) entschieden, dass zwischen den Rechtsstellungen im Rahmen eines Leasingvertrages und einer Finanzierung per Darlehen zu unterscheiden sei, denn:
Der Leasinggeber bleibt am Ende des Leasingvertrages der Eigentümer, er vermarktet das Fahrzeug. Einige Leasinggesellschaften betreiben dafür einen eigenen Fahrzeughandel und verkaufen Tag für Tag Gebrauchtwagen. Das Interesse des Leasinggebers gilt dem Erhalt des Fahrzeugs zur Anschlussverwertung. Der Leasingnehmer hat nur die Stellung eines Mieters.
Bei einer Finanzierung mittels Darlehen und Sicherungsübereignung geht nach der Zahlung der letzten Rate das Eigentum auf den Darlehensnehmer über. Die finanzierende Bank verliert ihr Sicherungseigentum. Das Interesse des Darlehensnehmers ist auf die Zahlung der Darlehensraten gerichtet. Bei einer Kfz-Finanzierung erwirbt die Bank das Fahrzeug nicht. Vielmehr kauft der Darlehensnehmer das Fahrzeug (er steht auch im Kaufvertrag) und überträgt der Bank nur das Sicherungseigentum. Mit Zahlung der letzten Rate verliert die Bank das Sicherungseigentum und der Darlehensnehmer hat einen Anspruch auf Rückübertragung, das Fahrzeug gehört dann dem bisherigen Darlehensnehmer. In der Praxis kommt es so gut wie nicht vor, dass eine Bank eines der finanzierten Fahrzeuge selbst verkauft. Damit die Bank gehört auch nicht in die Fallgruppe der „gewerblich mit dem An- und Verkauf von Fahrzeugen befassten Geschädigten“ und deswegen sei der Restwert auf dem regionalen Markt zu ermitteln.
Das hat der BGH nun in seinem Urteil vom 25.03.2025, Az. VI ZR 174/24, anders entschieden.
Der Sachverhalt:
Bei einem Verkehrsunfall am 22.10.2021 erlitt der PKW des Klägers, ein Seat, einen Totalschaden. Die Haftung der beklagten Haftpflichtversicherung war unstreitig. Der Kläger hatte das Fahrzeug bei der Seat Bank, einer Zweigniederlassung der Volkswagen Bank GmbH, gekauft und im Rahmen der Finanzierung an diese zur Sicherheit übereignet. Zum Zeitpunkt des Unfalls lief die Finanzierung noch.
Die Beklagte regulierte den Schaden des Klägers überwiegend. Die Parteien streiten nur noch darum, in welcher Höhe sich der Kläger bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungsaufwands den Restwert des unfallbeschädigten Fahrzeugs anrechnen lassen muss. Der Sachverständige legte in seinem Gutachten einen Restwert des Fahrzeugs in Höhe von 7.100 € zugrunde. Dabei führte er drei regionale Restwertangebote auf, das höchste belief sich auf 7.100 €. Die Beklagte ging dagegen aufgrund eines von ihr über eine internetbasierte Restwertbörse eingeholten Angebots von einem Restwert in Höhe von 10.290 € aus und errechnete so einen um 3.190 € geringeren Entschädigungsbetrag.
Die Sicherungseigentümerin teilte dem Kläger mit Schreiben vom 10.01.2022 mit, dass die Finanzierung seit dem 22.11.2021 erledigt sei und ermächtigte ihn dazu, sämtliche Schadensersatzansprüche aus dem Unfall im eigenen Namen geltend zu machen und Zahlungen zu beanspruchen.
Mit der Klage begehrt der Kläger den Differenzbetrag zwischen dem vonder Beklagten zugrunde gelegten Restwert von 10.290 € und dem vom Gutachter ermittelten höchsten Restwert in Höhe von 7.100 €, also 3.190 €. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Das Urteil:
Der BGH wies die Klage ab.
Vorliegend war das Fahrzeug bei der VW-Bank finanziert, und der Kläger machte als Sicherungsgeber ein fremdes Recht (nämlich das der Bank als Sicherungseigentümerin aus der Beschädigung des Eigentums) im eigenen Namen geltend, sog. gewillkürte Prozessstandschaft. Damit sind im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Sicherungsnehmers, also der Bank, maßgebend sind.
Denn die finanzierende Bank wird bei Beschädigung des Sicherungsgutes regelmäßig daran interessiert sein, den (Rest-)Wert des Sicherungsgutes zur Abschätzung ihres eigenen Risikos zu bewerten. Es erscheint auch nicht fernliegend, dass sie über die Verwertung von Sicherungsgut Erfahrungen im Verkauf gebrauchter Fahrzeuge hat. Dies mag zwar bei den meisten reinen Finanzdienstleistern wie örtlichen Sparkassen und Raiffeisenbanken nicht der Fall sein, kann jedoch für die in den VW-Konzern als Tochtergesellschaft eingebundene VW-Bank nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Denn es genügt, wie der BGH bereits in der Leasingentscheidung vom 02.07.2024 festgehalten hat, dass die Bank selbst oder über die in seine Geschäftstätigkeit eingebundenen Autohäuser Zugriff auf den Sondermarkt der Restwertaufkäufer im Internet hat. Zudem ist die Bank als Sicherungseigentümerin nicht wie ein privater Geschädigter schutzwürdig, als es ihr möglich sein müsste, das Unfallfahrzeug bei einer ihm vertrauten Vertragswerkstatt oder einem angesehenen Gebrauchtwagenhändler bei dem Erwerb des Ersatzwagens in Zahlung zu geben.
Damit ist der Bank die Inanspruchnahme des Restwertmarktes im Internet und die Berücksichtigung dort abgegebener Kaufangebote ohne weiteres zuzumuten. Es stellt für die Bank, sofern sie selbst oder über die in seine Geschäftstätigkeit eingebundenen Autohäuser Zugriff auf den Sondermarkt der Restwertaufkäufer im Internet hat, keine unzumutbare Mühe dar, die zugehörigen Internetseiten aufzurufen und ihr Angebot einzustellen.
Vor diesem Hintergrund stellte das eingeholte Gutachten, das ausschließlich die Restwertangebote regionaler Anbieter des allgemeinen Marktes berücksichtigt, keine geeignete Grundlage für die konkrete Klageforderung dar. Das Restwertangebot der beklagten Versicherung war daher zu Recht der Abrechnung zugrunde gelegt worden.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Ist das Auto des Kunden finanziert, ist zukünftig der Restwert vom Sachverständigen auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes der Restwertaufkäufer im Internet zu ermitteln. Die Bank ist Sicherungseigentümerin des Fahrzeugs und fällt unter die Fallgruppe „Unternehmen, das sich auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst“. Voraussetzung ist, dass die Bank selbst oder über die in seine Geschäftstätigkeit eingebundenen Autohäuser Zugriff auf den Sondermarkt der Restwertaufkäufer im Internet hat.
Autohäuser sollte daher bei solchen Kunden die Restwertermittlung überprüfen, bevor sie dem Kunden ein neues Fahrzeug verkaufen, sonst können Finanzierungslücken auftreten.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige ist grundsätzlich verpflichtet, den Restwert auf dem allgemeinen regionalen Markt – also dem Markt der örtlich ansässigen Vertrags- und seriösen Gebrauchtwagenhändler – zu ermitteln und drei Restwertangebote aus dem regionalen Markt in sein Gutachten aufzunehmen.
In den Fällen allerdings, in denen der Geschädigte ein Unternehmen ist, das mit dem An- und Verkauf von Gebrauchtfahrzeugen befasst ist, hat er den Restwert auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes der Restwertaufkäufer im Internet zu ermitteln. Unter diese Fallgruppe fallen nunmehr neben Autohäuser, Autovermietern, Carsharing-Unternehmen, Unternehmen mit großen Fahrzeugflotten, Restwerthändler und Leasinggesellschaften auch Geschädigte, deren Fahrzeug finanziert ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Bank selbst oder über die in seine Geschäftstätigkeit eingebundenen Autohäuser Zugriff auf den Sondermarkt der Restwertaufkäufer im Internet hat.
Das gilt bei allen „Auto-Banken“ wie VW-Bank, Kia-Bank, BMW- Bank, aber auch bei Banken wie die Bank 11 oder Santander, da diese bei Finanzierungen mit Autohäusern zusammenarbeiten. Nur Finanzierungen, die direkt über örtliche Banken (Sparkassen, Raiffeisenbanken) ohne Autohaus abgeschlossen werden, fallen nicht in diese Gruppe.
Der Sachverständige ist aber auch hier gehalten, die Plausibilität der Angebote des Sondermarktes zu überprüfen. Ermittelt der Sachverständige den Restwert nicht nach den obigen Vorgaben, drohen Regressprozesse des Leasinggebers oder des Leasingnehmers gegen den Gutachter.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Für den privaten Geschädigten, der Eigentümer seines Fahrzeugs ist, ändert sich nichts. Der BGH führt explizit aus, dass an der bisherigen Restwertrechtsprechung festgehalten wird, soweit es um Geschädigte geht, die nicht über diese Sonderkenntnisse verfügen. Da der „Normalverbraucher“ nicht über Kenntnisse des Sondermarktes verfügt und sich an seinen vertrauten Vertragshändler wenden darf, ist bei der Restwertermittlung ausschließlich der allgemeine regionale Markt zu berücksichtigen.
Hat der private Geschädigte sein Fahrzeug dagegen geleast oder finanziert, ist Eigentümer/Sicherungseigentümer des Fahrzeugs der Leasinggeber bzw. die Bank. Es ist dann auf den Leasinggeber/die Bank abzustellen und diese fällt unter die Fallgruppe „Unternehmen, das sich auch mit dem An- und Verkauf von gebrauchten Kraftfahrzeugen befasst“. Der Restwert ist dann auch unter Berücksichtigung des Sondermarktes zu ermitteln.