

Viele Gerichte haben sich in den letzten Monaten damit befasst, ob die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen der Reparatur nach einem Kfz-Haftpflichtschaden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstattet werden müssen. Die Rechtsprechung war uneinheitlich. Jetzt liegt das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13.12.2022, Az. VI ZR 324/21, im Volltext vor. Es bezieht sich allerdings auf Desinfektionskosten, die der Sachverständige im Rahmen seiner Begutachtung dem Geschädigten berechnet hatte.
Sachverhalt:
Der Kläger machte nach einem Verkehrsunfall restlichen Schadensersatz in Höhe von 15 Euro netto, also 17,85 Euro brutto, für Desinfektionskosten geltend. Diese Kosten waren ihm von dem Sachverständigenbüro in Rechnung gestellt worden. Dieses hatte im Rahmen der Begutachtung bei Hereinnahme des Fahrzeugs und vor Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger alle Fahrzeugteile, die kurzfristig berührt wurden, desinfiziert. Der Arbeitsaufwand betrug jeweils mehrere Minuten. Der Kläger hatte die Rechnung des Sachverständigen nicht bezahlt und klagte auf Freistellung von der Honorarforderung.
Das Landgericht Stuttgart hatte die gegnerische Haftpflichtversicherung in der Berufungsinstanz in Höhe von 8,93 Euro zur Zahlung der Desinfektionsmaßnahmen, die vor der Rückgabe des Fahrzeugs durchgeführt worden sind, verurteilt. Die Kosten für die Desinfektion bei Hereinnahme des Fahrzeugs sah das Landgericht nicht als erstattungsfähig an. Es sei zweifelhaft, ob der Sachverständige dem Kunden allgemeine Arbeitsschutzmaßnahmen in Rechnung stellen könne. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Revision zum BGH ein.
Entscheidung:
Der BGH hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen. Der BGH hat festgestellt:
Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz der Kosten des eingeholten Sachverständigengutachtens aus §§ 7, 18 StVG, § 115 VVG. Die Höhe richtet sich nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Danach kann der Geschädigte als erforderlichen Herstellungsaufwand die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen.
Verlangt der Geschädigte wie hier Freistellung von der Honorarforderung des Sachverständigen, ist maßgebend, ob und in welcher Höhe er mit der Verbindlichkeit, die er gegenüber dem Sachverständigen eingegangen ist, beschwert ist. Es ist dann auch für die schadensrechtliche Betrachtung (§ 249 BGB) des Verhältnisses zwischen Geschädigtem und Schädiger die werkvertragliche Beziehung (§§ 631 ff. BGB) zwischen Geschädigtem und Sachverständigem maßgeblich. Das bedeutet: Wenn kein Auswahl- und Überwachungsverschulden des Geschädigten in Bezug auf den Sachverständigen vorliegt, kommt es darauf an, ob und in welcher Höhe der Kläger dem Sachverständigen die Vergütung der Desinfektionsmaßnahmen nach werkvertraglichen Grundsätzen schuldet. Nicht relevant dagegen ist, ob die in Rechnung gestellten Desinfektionsmaßnahmen nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB objektiv erforderlich waren.
Vorliegend hatte der Kläger keine Vergütungsvereinbarung mit dem Sachverständigen geschlossen, so dass nach § 632 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen ist. Da Desinfektionskosten im Rahmen der Begutachtung selten berechnet werden, hat sich eine Üblichkeit der Höhe der Kosten noch nicht herausgebildet. Das Landgericht Stuttgart muss nunmehr prüfen, ob sich deren Höhe durch ergänzende Vertragsauslegung ermitteln lässt. Falls dem nicht so ist, kommt eine einseitige Bestimmung der Gegenleistung durch den Sachverständigen in Betracht.
Abschließend hat der BGH auf Folgendes hingewiesen:
„Ebenso wie die Wahl seines individuellen Hygienekonzepts selbst steht auch die betriebswirtschaftliche Entscheidung, ob die hierfür anfallenden Kosten gesondert ausgewiesen oder als interne Kosten der Arbeitssicherung in die Kalkulation des Grundhonorars „eingepreist“ werden, grundsätzlich dem Sachverständigen als Unternehmer zu. Angesichts der nur vorübergehenden Natur jedenfalls der verschiedenen Phasen der Corona-Pandemie mag es sogar ein Ausdruck des Bemühens um Kostentransparenz sein, die Pauschale für die Dauer ihres Anfallens gesondert auszuweisen. Entgegen den Zweifeln des Berufungsgerichts begegnet es daher keinen grundsätzlichen Bedenken, dass der Sachverständige die Corona-Desinfektionspauschale gesondert berechnet hat.“
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Im vom BGH entschiedenen Fall ging es um eine Desinfektion im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen. Nicht Stellung genommen hat der BGH zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Desinfektionskosten der Autohäuser und Kfz-Werkstätten, wobei hier die gleichen Grundsätze anzuwenden sein dürften. Welche Kosten hier üblich sind, dürfte leicht festzustellen sein, da Desinfektionsmaßnahmen fast von allen Werkstätten berechnet worden sind. Zudem dürften hier die Grundsätze des Werkstattrisikos greifen und die Kosten damit nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich sein.
Wichtig sind für die Autohäuser folgende Aussagen: Die Berechnung von Desinfektionskosten und die Art der Durchführung der Desinfektion ist allein Entscheidung des Unternehmers. Es können auch Desinfektionskosten, die bei Hereinnahme des Fahrzeugs zum Schutz der Mitarbeiten entstehen, erstattungsfähig sein.
Allerdings ist zu beachten, dass die Gerichte keine Desinfektionskosten aus Unfällen, die sich ab Sommer 2022 bzw. spätestens ab diesem Jahr ereignen, mehr zusprechen werden.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Hat der Sachverständige Kosten für Desinfektionsmaßnahmen berechnet, dürften diese nach dem Urteil des BGH vom Schädiger zu erstatten sein, sofern der Auftraggeber dem Sachverständigen die Vergütung der Desinfektionsmaßnahmen nach werkvertraglichen Grundsätzen schuldet. Welche Kostenhöhe üblich ist, wurde vom BGH nicht entschieden.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte dürfte Anspruch auf Erstattung der Position „Kosten für Desinfektionsmaßnahmen“, die im Rahmen der Begutachtung entstehen, haben. Die Höhe dieser Pauschale ist allerdings noch zu klären.