

Viele Gerichte, sogar der Bundesgerichtshof (BGH), haben sich in den letzten Monaten damit befasst, ob die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen der Reparatur nach einem Kfz-Haftpflichtschaden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstattbar sind. Die Rechtsprechung bei den Instanzgerichten war uneinheitlich. Das Urteil des BGH bezog sich auf Desinfektionskosten, die ein Sachverständiger im Rahmen seiner Begutachtung dem Geschädigten berechnet hatte, vgl. unser Newsletter 2/2023. Der Streit dürfte nun erledigt sein. Denn die Gerichte halten Desinfektionskosten jetzt nicht mehr für erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB.
So hat das Amtsgericht Coburg in der Verfügung vom 11.05.2023, Az. 14 C 907/23, festgehalten:
„Ein Geschädigter hat grundsätzlich gemäß § 249 Abs. 2 BGB Anspruch auf die Kosten, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Die Erforderlichkeit wird dabei aus einer subjektbezogenen ex-ante-Betrachtung (Anm. d. Verf.: Beurteilung aus früherer Sicht) bestimmt. So können auch Maßnahmen als erforderlich angesehen werden, die sich objektiv und ex-post (Anm. d. Verf.: im Nachhinein) betrachtet als nicht erforderlich herausstellen. Der Schädiger trägt das Werkstatt- und Prognoserisiko. So kann er beispielsweise auch mit dem Mehraufwand belastet werden, den die von dem Geschädigten beauftragte Werkstatt ohne sein Verschulden infolge unwirtschaftlicher und unsachgemäßer Maßnahmen verursacht oder in Rechnung gestellt hat, obwohl die zugehörigen Arbeiten nicht oder nicht in dieser Weise ausgeführt wurden. Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise, wenn dem Geschädigten insoweit ein Auswahlverschulden zur Last fällt.
Unter dieser Maßgabe handelt es sich bei den abgerechneten Desinfektionsmaßnahmen nicht mehr um ersatzfähige Schadenspositionen im Sinne von § 249 Abs. 2 BGB. Das Gericht hält weiterhin an den Grundsätzen des Werkstatt- und Prognoserisikos fest. Bei den streitgegenständlichen Desinfektionskosten handelt es sich jedoch um Kosten, welche aufgrund der Coronapandemie erforderlich wurden. Die Erstattungsfähigkeit dieser Kosten in der Vergangenheit begründete sich ausschließlich aufgrund des für jedermann erkennbaren Umstandes, dass die Pandemie erhöhte Hygienemaßnahmen erforderte. Sofern Desinfektionsmaßnahmen bereits im Sachverständigengutachten enthalten waren, konnten diese lediglich hinsichtlich ihres Umfangs, nicht hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Erforderlichkeit Bedeutung haben. Da es sich bei der Frage der grundsätzlichen Erforderlichkeit um eine medizinische Frage handelt, war für jedermann erkennbar, dass die sachverständigen Ausführungen bei dieser Position lediglich Bedeutung hinsichtlich des Umfanges haben können.
Schließlich sind die streitgegenständlichen Maßnahmen dem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos zuzurechnen und damit nicht mehr adäquat kausal auf den Unfall zurückzuführen.“
Andere Gericht sehen dies genauso, zum Beispiel:
- AG Sonthofen, Verfügung vom 05.10.2022, Az. 2 C 374/22
- AG Coburg, Verfügung vom 08.12.2022, Az. 14 C 4568/22
- AG München, Verfügung vom 08.12.2022, Az. 332 C 16113/22
- AG Berlin-Mitte, Urteil vom 21.02.2023, Az. 106 C 300/21 (V)
- AG Nürnberg, Urteil vom 06.03.2023, Az. 246 C 2242/22
Die Argumente der Gerichte: Desinfektionsmaßnahmen sind nicht mehr erforderlich, da sämtliche staatlich verordnete Maßnahmen zwischenzeitlich aufgehoben wurden. Es gibt seit Sommer 2022 aufgrund der aktuellen Entwicklung der Pandemie sowie des gesellschaftlichen Verhaltens keine Erforderlichkeit für erhöhte Hygienemaßnahmen mehr. Auch der subjektbezogene Schadenbegriff dürfte dem Geschädigten nicht weiterhelfen: Selbst für den Laien ist erkennbar, dass es nicht mehr notwendig ist, das Fahrzeug zu desinfizieren.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Eine Desinfektion bei Hereinnahme des Fahrzeugs und bei Rückgabe an den Geschädigten ist ab Mitte des Jahres 2022 nicht mehr erforderlich. Daher wird, sollte das Autohaus dennoch desinfizieren und dem Geschädigten diese Kosten in Rechnung stellen, die gegnerische Haftpflichtversicherung keine Erstattung leisten.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Sachverständige sollte keine Kosten für Desinfektionsmaßnahmen mehr in sein Gutachten mit aufnehmen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte hat ab Sommer/Herbst 2022 keinen Anspruch auf Erstattung der Position „Kosten für Desinfektionsmaßnahmen“ mehr.