

In unserem heutigen Newsletter geht es einmal nicht um die Folgen eines unverschuldeten Verkehrsunfalls, sondern um die Haftung. Wer haftet, wenn ein Radfahrer in einen quer über einen Feldweg gespannten Stacheldraht fährt und sich dabei lebensgefährlich verletzt? Derjenige, der die Verkehrssicherungspflicht für den Feldweg innehat oder der Radfahrer, weil er nicht aufgepasst hat? Über einen solchen Sachverhalt hat der Bundesgerichtshof (BGH) ganz aktuell am 23.04.2020 entschieden (Az. III ZR 250/17 und III ZR 251/17).
Sachverhalt (vereinfacht):
Der Kläger machte im Sommer 2012 mit seinem Mountainbike eine Radtour. Er fuhr auf einem der beklagten Gemeinde gehörenden, unbefestigten Feldweg. Auf diesem befand sich nach ca. 50 Metern eine Absperrung aus zwei Holzlatten, an denen das Zeichen 260 (Verbot für Krafträder und Mofas)
befestigt war.
Diese Holzlatten wurden durch zwei Stacheldrähte gehalten, die an Holzpfosten seitlich des Wegs gespannt waren. Die Absperrung konnte an einer Seite geöffnet werden. Errichtet wurde die Absperrung bereits im Jahre 1980 durch den damaligen Jagdpächter mit Zustimmung der Gemeinde.
Der Kläger bemerkte den Stacheldraht zwar, aber so spät, dass er nur noch eine Vollbremsung durchführen konnte und nicht mehr vor dem Zaun zum Stehen kam. Vielmehr überschlug er sich und stürzte kopfüber über das Hindernis. Durch den Sturz erlitt er einen Bruch des Halswirbels. Er ist seitdem querschnittsgelähmt und pflegebedürftig.
Der Kläger macht mit seiner Klage eine Schmerzensgeldforderung von mindestens 500.000 Euro sowie die Feststellung der Ersatzpflicht bzgl. aller materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall geltend. Er begründet dies damit, dass die Gemeinde als Eigentümerin des Feldwegs ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Die Absperrung sei für den Kläger erst aus einer Entfernung von höchstens acht Metern erkennbar gewesen.
Vor dem Landgericht in erster Instanz war der Kläger unterlegen; er legte Berufung zum Oberlandesgericht ein, welches der Klage in Höhe von 25 % stattgegeben hat und bei dem Kläger ein Mitverschulden von 75 % gesehen hat.
Entscheidung:
Der BGH hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen.
Der BGH hat eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Gemeinde bejaht. Die Verkehrssicherungspflicht trifft grundsätzlich denjenigen, der einen Gefahrenbereich schafft. Dieser ist verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Dem ist die Gemeinde als Trägerin der Straßenbaulast nicht nachgekommen, denn:
„Ein quer über einen für die Nutzung durch Radfahrer zugelassenen Weg gespannter, nicht auffällig gekennzeichneter Stacheldraht ist im wörtlichen wie auch im rechtlichen Sinne verkehrswidrig. Ein solches Hindernis ist angesichts seiner schweren Erkennbarkeit und der daraus sowie aus seiner Beschaffenheit folgenden Gefährlichkeit völlig ungewöhnlich und objektiv geradezu als tückisch anzusehen, so dass ein Fahrradfahrer hiermit nicht rechnen muss.“
Ein Mitverschulden wegen Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot hat der BGH beim Kläger indes nicht gesehen. Das Sichtfahrgebot verlangt von einem Fahrer, dass er auf einer übersehbaren Strecke vor einem Hindernis anhalten kann. Dabei muss er aber seine Geschwindigkeit nicht auf solche Objekte einrichten, die wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind. Nach Ansicht des BGH handelte es sich bei dem auf den Drähten angebrachten, mit nach unten auf den Boden gerichteten Holzlatten versehenen Verkehrsschild um ein solch schwer erkennbares Hindernis. Es habe vielmehr für den Kläger so ausgesehen, als sei der Weg für Fahrradfahrer frei passierbar.
Dass der Kläger durch die Vollbremsung, die zum Überschlag des Fahrrads führte, falsch reagiert habe und ihm dies vorzuwerfen sei, sah der BGH nicht. Der Kläger habe aus verständlichem Erschrecken falsch reagiert und hatte in der für ihn nicht vorhersehbaren Gefahrenlage keine Zeit, ruhig zu überlegen, um das Richtige zu tun und den Unfall zu vermeiden.
Hingewiesen hat der BGH noch darauf, dass unter Umständen die Tatsache, dass der Kläger auf dem unbefestigten und unebenen Feldweg statt der „normalen“ Fahrradpedale sogenannte Klickpedale genutzt habe, zu einem Mitverschuldensvorwurf von (allenfalls) 25 % führen könne. Dazu müsse aber das Oberlandesgericht weitere Feststellungen treffen.
Die Urteile des BGH liegen noch nicht im Volltext vor; der Newsletter basiert auf der Mitteilung der Pressestelle des BGH vom 23.04.2020.