Bislang konnte der Geschädigte auch bei fiktiver Abrechnung die tatsächlich aufgewandte Umsatzsteuer, die für den Kauf von Ersatzteilen oder einer Teil-Reparatur anfällt, von der gegnerischen Versicherung erstattet verlangen.
Dies hatte der BGH zwar nicht explizit entschieden – ursprünglich wurde es verneint (BGH, Urteil v. 15.2.2005, Az. VI ZR 172/04), dann offengelassen (BGH, Urteil v. 13.9.2016, Az. VI ZR 654/15, betreffend Totalschadensabrechnung) – wurde aber bei der Unfallregulierung von den Haftpflichtversicherungen so praktiziert. Insbesondere, wenn durch die Reparatur das Fahrzeug in verkehrssicheren Zustand versetzt wurde, wurde die für die Teilreparatur angefallene Umsatzsteuer erstattet.
Dies dürfte jetzt der Vergangenheit angehören. Der BGH hat mit Urteil vom 05.04.2022, Az. VI ZR 7/21, entschieden, dass eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensberechnung unzulässig sei, da der Geschädigte andernfalls gegen das Vermischungsverbot verstoße.
Vereinfachter Sachverhalt:
Das Fahrzeug der Klägerin wurde bei einem Verkehrsunfall beschädigt. Die Beklagte als Haftpflichtversicherer war eintrittspflichtig. Der Sachverständiger hatte die Nettoreparaturkosten mit Euro 5.521,64 beziffert. Die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs war durch den Unfall nicht beeinflusst. Die Klägerin rechnete fiktiv auf Gutachtenbasis ab; die Beklagte erstattete die Nettoreparaturkosten. Die Klägerin ließ dann eine Teilreparatur durchführen, für die Kosten in Höhe von Euro 4.454,63 netto zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von Euro 846,38 anfielen.
Die Klägerin hat die Haftpflichtversicherung auf Ersatz der von ihr für die Teilreparatur gezahlte Umsatzsteuer über Euro 846,38 in Anspruch genommen. Amts- und Landgericht hatten die Klage der Klägerin abgewiesen.
Entscheidung:
Der BGH hat dies auch so gesehen. Da die Klägerin den Weg der fiktiven Schadensabrechnung gewählt hat, kann sie keinen Ersatz der Umsatzsteuer verlangen.
Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer ist hingegen nicht zu ersetzen, wenn und soweit sie fiktiv bleibt.
Die Klägerin ist nicht zu einer konkreten Berechnung ihres Schadens auf der Grundlage der durchgeführten Reparatur übergegangen. Die in der von der Klägerin gewählten fiktiven Schadensabrechnung enthaltene Umsatzsteuer auf die Reparaturkosten bleibt fiktiv, weil sie nicht angefallen ist. Sie wurde von der Klägerin auch zu Recht nicht geltend gemacht. Die nun mit der Klageforderung geltend gemachte Umsatzsteuer ist zwar tatsächlich angefallen, jedoch auf eine Reparatur, die von der Klägerin nicht abgerechnet wird. Damit bleibt die Umsatzsteuer fiktiv.
Die unterschiedlichen Abrechnungsarten dürfen nicht miteinander vermengt werden. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist nicht zulässig. Hierdurch soll verhindert werden, dass sich der Geschädigte unter Missachtung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots die ihm vorteilhaften Elemente der jeweiligen Berechnungsart aussucht („Rosinenpicken“).
Das gilt auch für den Fall einer konkreten Teilreparatur, bei der tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist und durch die die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs erst wieder hergestellt wird. Dies wurde vom BGH bislang offen gelassenen (vgl. Urteil vom 13.9.2016, Az. VI ZR 654/15 und Urteil vom 12.10.2021, Az. VI ZR 513/19). Auch in so einem Fall gilt das Vermischungsverbot.
Im Übrigen entsteht dem Geschädigten durch das Vermischungsverbot auch kein Nachteil, so der BGH, da er, auch wenn er zunächst fiktiv abrechnet, immer noch zur konkreten Schadenabrechnung übergehen kann.
Für das Autohaus/ Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Repariert das Autohaus oder die Kfz-Werkstatt nur einen Teil der im Gutachten vorgesehen Reparaturkosten, bekommt der Geschädigte die bei der Reparatur angefallene Umsatzsteuer nicht erstattet, wenn er insgesamt fiktiv abrechnet. Das gilt auch, wenn durch die Reparatur das Fahrzeug erst wieder verkehrssicher wird. Es gilt das Vermischungsverbot von fiktiver und konkreter Abrechnung.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte kann bei fiktiver Abrechnung die tatsächlich aufgewandte Umsatzsteuer nicht zusätzlich zu den Nettoreparaturkosten geltend machen. Wählt er den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, bleibt es bei dieser Abrechnung und die Umsatzsteuer bleibt fiktiv. Eine im Rahmen einer Teilreparatur angefallene Umsatzsteuer wird gegenüber dem Schädiger bei der fiktiven Abrechnung nicht geltend gemacht.