In unserem jüngsten Newsletter 01/2020 hatten wir das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28.10.2019, Az. VI ZR 45/19, vorgestellt. In diesem Urteil hat der BGH nicht nur entschieden, dass Großkundenrabatte beim Schadenersatzanspruch in der Unfallregulierung zu berücksichtigen sind, sondern auch, dass der geschädigte Halter einer Fahrzeugflotte auf Kosten des Schädigers einen Rechtsanwalt mit der Unfallschadensabwicklung beauftragen darf.
Sachverhalt:
Die Klägerin, ein großes, international tätiges Autovermietungsunternehmen, hat die beklagte Versicherung auf restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch genommen. Dabei wurden unter anderem außergerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend gemacht, deren Erstattung die beklagte Haftpflichtversicherung abgelehnt hatte. Begründet wurde dies damit, dass es sich um einen einfach gelagerten Schadensfall handle und die Geschädigte hinreichend geschäftlich gewandt sei, die Ansprüche selbst geltend zu machen.
Entscheidung:
Der BGH hat die Auffassung der beklagten Haftpflichtversicherung nicht bestätigt:
Wenn ein Geschädigter nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung seiner Schadenersatzansprüche beauftragt, sind die Rechtsanwaltskosten vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 BGB zu erstatten, sofern sie erforderlich sind.
Hierzu sagt der BGH: Nur wenn ein einfach gelagerter Fall vorliegt, muss der Geschädigte die Schadensdurchsetzung zunächst allein versuchen. Ein einfacher Fall liegt aber nur dann vor, wenn die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar sind, dass aus Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, dass der Schädiger (oder dessen Haftpflichtversicherer) ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde. Dabei kommt es auf die Sicht des Geschädigten zu Beginn der Schadenregulierung an.
Handelt es sich nicht um einen nicht einfach gelagerten Fall, ist der Geschädigte – gleich ob Privatperson, Behörde oder Unternehmen, ungeachtet etwaiger Erfahrungen und Fachkenntnisse – nicht verpflichtet, die Schadensabwicklung selbst durchzuführen.
Der BGH hat festgehalten, dass ein einfach gelagerter Fall so gut wie nie vorliegt, denn:
- Auch nach Ansicht der unteren Instanzgerichte ist derzeit bei Unfallschäden stets mit Einwendungen zur Schadenhöhe zu rechnen. Die Abwicklung eines Verkehrsunfalls, an dem zwei Fahrzeuge beteiligt waren, stellt jedenfalls im Hinblick auf die Schadenshöhe regelmäßig keinen einfach gelagerten Fall dar.
- Bei einem Fahrzeugschaden wird in Rechtsprechung und Fachschrifttum seit Jahren die rechtliche Beurteilung nahezu jeder Schadensposition intensiv und kontrovers diskutiert wird. Die umfangreiche, vielschichtige und teilweise uneinheitliche Rechtsprechung hierzu wird nach wie vor fortentwickelt. Nicht selten streiten der Geschädigte und die in der Regel hoch spezialisierten Rechtsabteilungen der Haftpflichtversicherer um einzelne Beträge.
- Vernünftige Zweifel, dass der Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommt, sind berechtigt, da jedenfalls im Hinblick auf die Höhe der Ersatzpflicht bei Fahrzeugschäden Unklarheiten bestehen.
- Die Tatsache, dass der erfahrene Geschädigte in der Lage ist, den Unfallhergang zu schildern und unter Beifügung eines Sachverständigengutachtens den Schaden zu beziffern, macht den Fall selbst bei Eindeutigkeit des Haftungsgrundes nicht zu einem einfach gelagerten.
- Die Ersatzfähigkeit fiktiver Reparaturkosten oder auch der Sachverständigenkosten ist der Höhe nach häufig höchst umstritten. Allein dies zeigt, dass von einem nicht einfach gelagerten Fall auszugehen ist.
Aus diesen Gründen durfte die Klägerin als großes Mietwagenunternehmen ungeachtet ihrer Geschäftsgewandtheit die Einschaltung eines Rechtsanwalts bereits für die erstmalige Geltendmachung ihres Schadensersatzanspruchs für erforderlich halten. Sie musste insbesondere mit der Beauftragung nicht abwarten, wie der Haftpflichtversicherer auf die Geltendmachung des Anspruchs reagiert.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Das Autohaus sollte dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls – egal ob Privatperson, Behörde oder Unternehmen – raten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Davon profitiert auch das Autohaus. Denn die Kürzungen der Haftpflichtversicherung bei der Reparaturrechnung sind meist unberechtigt. Wenn diesen Kürzungen effektiv entgegnet wird, bekommt das Autohaus den vollen Rechnungsbetrag erstattet und muss sich nicht wegen des fehlenden Rests an den eigenen Kunden wenden.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Auch die Honorarrechnung des Sachverständigen wird von der Haftpflichtversicherung gerne gekürzt. Hierzu verweisen wir auf oben.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Die Geltendmachung von Ansprüchen ist bei fast allen Verkehrsunfällen angesichts der Vielzahl streitiger Positionen beim Anspruchsgrund und der Schadenhöhe so vielfältig, dass kaum ein einfacher Fall vorliegt. Daher hat jeder Geschädigte – gleich ob Privatperson, Behörde, Unternehmen oder Flottenprofi – von Anfang an das Recht, einen Anwalt hinzuziehen. Der Geschädigte muss nicht abwarten, wie der Haftpflichtversicherer auf die Geltendmachung des Anspruchs reagiert.