

Die fiktive Abrechnung ist eine besondere Art der Unfallabwicklung. Eine offizielle Definition gibt es nicht: Zumeist wird die Abrechnung eines Schadens als „fiktiv“ bezeichnet, wenn kein tatsächlicher, sondern nur ein potenzieller Aufwand geltend gemacht wird.
Die Schadensberechnung erfolgt nicht auf Basis einer konkreten Reparaturkostenrechnung, sondern nach Maßgabe eines Sachverständigengutachtens. Auch die Abrechnung auf Basis eines Kostenvoranschlags einer Kfz-Werkstatt ist möglich. Es wird also weder eine Reparaturrechnung vorgelegt noch muss das Unfallfahrzeug repariert werden. Der Geschädigte ist auch nicht verpflichtet, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen. Darüber hatte erst kürzlich der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 28.1.2025, Az. VI ZR 300/24 entschieden.
Sachverhalt:
Bei einem Verkehrsunfall im März 2022 wurde das in Deutschland zugelassene Fahrzeug des in Deutschland wohnenden Klägers beschädigt. Das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten, auf dessen Grundlage er seinen Schaden gegenüber der Beklagten abrechnete, wies Reparaturkosten in Höhe von 3.087,80 Euro netto aus. Während eines Urlaubs in der Türkei ließ der Kläger sein Fahrzeug vollständig sach- und fachgerecht reparieren. Zu den Kosten dieser Reparatur macht er keine Angaben. Der Kläger rechnete den Fahrzeugschaden fiktiv ab. Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen, da der Kläger nicht die fiktiven, sondern nur die im Ausland tatsächlich angefallenen Reparaturkosten verlangen könne. Zu Letzteren habe er aber nicht vorgetragen. Das Landgericht hatte die fiktiven Reparaturkosten gemäß Gutachten als erstattungsfähig angesehen. Dagegen legte die beklagte Haftpflichtversicherung Revision ein, jedoch ohne Erfolg.
Entscheidung:
Der Kläger kann seinen Schaden fiktiv abrechnen und ist nicht verpflichtet, zu den tatsächlichen Kosten der durchgeführten Reparatur in der Türkei vorzutragen.
Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Dabei muss er im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung wählen (sog. Wirtschaftlichkeitsgebot). Am Schadensfall „verdienen“ darf er nicht. Er ist grundsätzlich frei, den Schaden fiktiv nach den Feststellungen des Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlichen aufgewandten Kosten abzurechnen. Rechnet er fiktiv ab, darf er die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt, die der Sachverständige auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat, zu Grunde legen. Allerdings kann der Schädiger ihn auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt verweisen, wenn er darlegt, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht. Zudem darf die Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt für den Geschädigten nicht unzumutbar sein.
Mit Urteil vom 3.12.2013, Az. VI ZR 24/13, hatte der Senat entschieden, dass ein Verweis des Schädigers nicht erforderlich ist, wenn der Geschädigte selbst darlegt, dass er vollständig, fachgerecht und preiswerter repariert hat. Dann sei auf Basis der preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen.
Aus diesem Urteil hatten einige Teile der Rechtsprechung und der Literatur gefordert, dass immer dann, wenn eine sach- und fachgerechte Reparatur erfolgt sei, der Schadensersatz auf die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten begrenzt sei. Der Geschädigte müsse dann die tatsächlichen Reparaturkosten darlegen bzw. die Reparaturrechnung vorlegen.
Diese Schlussfolgerung ist aber – dies hat der BGH nun klargestellt – nicht richtig. Andernfalls würden die Ersetzungsbefugnis und die Dispositionsfreiheit des Geschädigten ausgehebelt. Bei der fiktiven Abrechnung muss der Geschädigte eben nicht darlegen, dass er sein verunfalltes Fahrzeug hat reparieren lassen, auch muss er nicht vortragen, auf welche Weise und in welchem Umfang repariert worden ist. Richtschnur für den Schadensersatz sind nicht die tatsächlich aufgewandt Reparaturkosten, sondern der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag. Bei der Ermittlung dieses Betrages ist bei einer fiktiven Abrechnung eine tatsächlich durchgeführte Reparatur (gleich an welchem Ort) irrelevant. Eventuelle finanzielle Vorteile, die der Kläger durch die Reparatur erzielt hat, sind im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung nicht zu berücksichtigen.
Im Urteil vom 3.12.2013 war der Sachverhalt ein anderer. Es ging seinerzeit um die Möglichkeit der Versicherung, durch einen Verweis “auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt” nachzuweisen, dass die im Gutachten ermittelte Summe nicht zur Herstellung notwendig sei. Der Vortrag der Versicherung hatte sich aber erübrigt, da der Geschädigte selbst erklärt hatte, dass er preiswerter repariert hatte.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte darf weiterhin entscheiden, ob er die entstandenen Kosten konkret oder fiktiv abrechnen möchte. Er darf sich auf die ermittelten Reparaturkosten eines unabhängigen Gutachtens verlassen, ohne belegen zu müssen, welche Reparaturen tatsächlich durchgeführt wurden. Entscheidend für den vom Schädiger zu leistenden Ersatz ist allein der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag auf Basis des Gutachtens. Was eine tatsächlich durchgeführte Reparatur gekostet hat, ist bei fiktiver Berechnung irrelevant.
Allerdings hat der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung die Möglichkeit, auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit hinzuweisen, sofern diese qualitativ gleichwertig und für den Geschädigten leicht erreichbar und der Verweis zumutbar ist.