

Gerade bei älteren Autos rechnen viele Geschädigte den Schaden nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall gegenüber der gegnerischen Versicherung fiktiv ab. Die Schadensberechnung erfolgt dann nicht auf Basis einer konkreten Reparaturkostenrechnung, sondern nach Maßgabe eines Sachverständigengutachtens oder aufgrund eines Kostenvoranschlags einer Kfz-Werkstatt. Eine Reparaturrechnung wird bei der fiktiven Abrechnung nicht vorgelegt und der Unfallwagen muss auch nicht repariert werden – das ist das Besondere an dieser Abrechnung.
Eine fiktive Abrechnung ist in jedem Fall möglich. Untersagt ist hier lediglich die Geltendmachung der nicht angefallenen Umsatzsteuer/Mehrwertsteuer. Die Umsatzsteuer wird nach der gesetzlichen Regelung (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB) nur dann erstattet, wenn und soweit diese konkret angefallen und nachgewiesen ist.
Oft ist es aber so, dass der Geschädigte nach den fiktiven Reparaturkosten abrechnet und dann eine Teil- oder Billigreparatur durchführt oder selber repariert und hierfür Ersatzteile einkauft. Über die Teilreparatur oder den Ersatzteilkauf bekommt der Geschädigte dann eine Rechnung, die Umsatzsteuer ausweist und die der Geschädigte auch tatsächlich bezahlt hat. Diese zusätzlich und tatsächlich angefallene Umsatzsteuer kann der Geschädigte von der gegnerischen Versicherung ersetzt verlangen. Diese Aufspaltung der Abrechnung – teils wird fiktiv, teils konkret abgerechnet – ist zulässig.
In Deutschland beträgt diese Umsatzsteuer 19 %. Wie aber schaut es aus, wenn der Geschädigte die Ersatzteile beispielsweise in Polen einkauft und die Rechnung den dortigen Umsatzsteuersatz von 23 % ausweist?
Das Gesetz spricht von der „tatsächlich aufgewandten Umsatzsteuer“; nach dem Gesetzestext könnte der Geschädigte also die Umsatzsteuer geltend machen, die er aufgewendet hat, und das wären die 23 %.
Vermutlich hat der Geschädigte die Ersatzteile in Polen ja deshalb gekauft, weil sie dort günstiger sind. Würde er beispielsweise in Deutschland das Ersatzteil für 1.000,00 EUR netto kaufen, könnte er Umsatzsteuer in Höhe von 19 %, also 190,00 EUR, geltend machen. Kauft er nun das gleiche Ersatzteil in Polen für 700,00 EUR netto, beträgt die 23 %-ige Umsatzsteuer 161,00 EUR. Insgesamt hat der Geschädigte in Polen aber nur 868,00 EUR bezahlt und damit weniger als in Deutschland.
Und genau hier liegt das Problem: Der Geschädigte rechnet zunächst die „deutschen“ Nettoreparaturkosten gemäß Gutachten ab und hat diesen Betrag auch schon von der gegnerischen Versicherung erhalten. Legt er dann die Rechnung über das „polnische“ Ersatzteil vor, zeigt er, zu welchem (niedrigeren) Preis er tatsächlich gekauft hat.
In so einem Fall werden die Ersatzteilkosten analog einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.2013, Az. VI ZR 24/13) behandelt: Der Geschädigte erhält nicht die (deutschen) Nettoreparaturkosten zzgl. tatsächlich bezahlter (polnischer) Umsatzsteuer, sondern ist auf den tatsächlich angefallenen (polnischen) Bruttokaufpreis begrenzt. Folglich hätte der Geschädigte nur Anspruch auf die 868,00 EUR.
Möglicherweise ergibt sich sogar ein Rückforderungsrecht der gegnerischen Versicherung ergeben, wenn sich nachträglich herausstellt, dass die tatsächlich aufgewandten Kosten weniger gewesen sind als der hierauf bereits gezahlte Nettobetrag.
Wie wäre es, wenn der Geschädigte das Ersatzteil in Polen zum gleichen Preis wie in Deutschland kaufen würde?
Kostet das Ersatzteil in Deutschland und in Polen jeweils 1.000,00 EUR netto, würde die Umsatzsteuer in Deutschland 190,00 EUR, in Polen aber 230,00 EUR betragen. Dann ist der tatsächlich aufgewandte Bruttopreis sogar höher als in Deutschland. In so einem Fall stellt sich dann die Frage, ob es „erforderlich“ nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB war, das Ersatzteil in Polen zu kaufen und damit höhere Umsatzsteuer aufzuwenden. Denn der Geschädigte hätte das Ersatzteil ja in Deutschland zu einem niedrigeren Bruttopreis bekommen und die von der gegnerischen Versicherung zu erstattende Umsatzsteuer wäre niedriger. Da müsste der Geschädigte wohl triftige Gründe vortragen, warum es erforderlich gewesen sein soll, das Ersatzteil in Polen zu kaufen.
Für das Autohaus/ Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Rechnet der Geschädigte fiktiv ab und lässt er im Autohaus oder in der Kfz-Werkstatt in Deutschland lediglich eine Teilreparatur durchführen, erhält er hierüber eine Rechnung, die Umsatzsteuer ausweist. Das Autohaus sollte den Geschädigten darauf hinweisen, dass er diese tatsächlich aufgewandte Umsatzsteuer bei der der gegnerischen Versicherung geltend machen kann.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte kann auch bei fiktiver Abrechnung die tatsächlich aufgewandte Umsatzsteuer, die für den Kauf von Ersatzteilen oder einer Teil-Reparatur anfällt von der gegnerischen Versicherung, erstattet verlangen. Kauft er allerdings im Ausland Teile ein oder führt die Teil-Reparatur durch, kann die Höhe der Umsatzsteuer von der deutschen Umsatzsteuer abweichen. Sind die zugekauften Ersatzteile dann günstiger gewesen als vom Sachverständigen kalkuliert, kann insoweit nur der tatsächlich gezahlte Bruttobetrag ersetzt verlangt werden.