Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall kommt es mitunter vor, dass das verunfallte Auto nicht mehr fahrtauglich oder verkehrssicher ist. Es muss abgeschleppt werden. Hier stellen sich etliche rechtliche Fragen: Wer kommt für die Abschleppkosten auf? Wann darf überhaupt abgeschleppt werden und wohin darf das Auto geschleppt werden?
1) Abschleppkosten
Sind die Abschleppkosten unfallbedingt erforderlich, stellen sie eine Schadensposition dar, die der Unfallverursacher ersetzen muss. Meist kümmert sich ein Unternehmen um das Abschleppen des Unfallwagens. Der Unfallgeschädigte hat dann in der Regel Anspruch auf die Abschleppkosten in voller Rechnungshöhe. Denn: Für den Geschädigten ist es oberstes Gebot, nach einem Unfall die Unfallstelle schnell zu räumen, um Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Zumeist wird der Abschleppunternehmer auch von der Polizei gerufen. Preisvergleiche über Abschleppkosten sind daher für den Geschädigten in der konkreten Situation nicht möglich. Der Schädiger schuldet in der konkreten Not- und Eilsituation die tatsächlich entstandenen Kosten, auf die Üblichkeit und Durchschnittlichkeit der Kosten kommt es nicht an. So sehen das auch die Gerichte: Den Geschädigten trifft keine vorherige Preisvergleichspflicht (vgl. OLG Celle, Urteil v. 09.10.2013, Az. 14 U 55/13; LG Hof, Urteil v. 09.02.2016, Az. 22 O 81/15; AG Stade, Urteil v. 10.10.2012, Az. 61 C 946/11; AG Neu-Ulm, Urteil v. 12.08.2014, Az. 7 C 676/14).
2) Totalschaden
Wie sieht es aus, wenn das verunfallte Fahrzeug vermutlich nicht mehr repariert werden kann, sondern ein Totalschaden vorliegt? Hier kommt es darauf an, wie sich das Schadenbild für den Geschädigten am Unfallort darstellt.
Stellt sich das Schadenbild für den Geschädigten zunächst nicht als totalschadenverdächtig dar, darf der Geschädigte sein unfallbeschädigtes Fahrzeug beim Haftpflichtschaden zur Heimatwerkstatt abschleppen lassen, um es dort zur Reparatur zu geben. Entpuppt sich dann in der Werkstatt der Schaden doch als Totalschaden, ändert das nichts (AG Waiblingen, Urteil v. 09.08.2017, Az. 13 C 890/17). Genauso hat es das AG Ingolstadt in einem Fall, in dem es um eine Strecke von etwa 100 km und Abschleppkosten in Höhe von 549,78 Euro ging, gesehen: Sofern der Geschädigte vorher nicht erkennen konnte, dass ein wirtschaftlicher Totalschaden vorliegt, kann er das Fahrzeug zur Heimatwerkstatt abschleppen lassen (AG Ingolstadt, Urteil v. 18.02.2016, Az. 10 C 2291/15). Die Abwicklung der Reparatur und eventueller späterer Nachbesserungsarbeiten ist dadurch für den Geschädigten einfacher. Zudem entstehen weder Kosten für einen Mietwagen noch Fahrtkosten, wenn der Geschädigte – wie im Urteilsfall – im Abschleppwagen mitfährt.
Im Umkehrschluss heißt das aber auch, dass ein offensichtlicher Totalschaden nur bis zu einem sicheren Abstellplatz in Unfallnähe abgeschleppt werden darf. Von dort kann er dann verwertet werden.
3) Abschleppen zur weiter entfernten Heimatwerkstatt
Kann das verunfallte Fahrzeug repariert werden und lässt der Geschädigte sein defektes Auto über eine längere Distanz zu seiner Heimatwerkstatt abschleppen, wittern die Haftpflichtversicherer Kürzungspotential. Der Geschädigte habe seine Schadensminderungspflicht verletzt und unnötig hohe Kosten produziert, so das Argument. Ein Abschleppen zur nächst gelegenen Werkstatt hätte gereicht.
Dagegen lässt sich anbringen (vgl. AG München, Urteil v. 06.10.2014, Az. 322 C 27990/13):
- Die Abwicklung der Reparatur und eventueller Nachbesserungsarbeiten ist für den Geschädigten in der Heimatwerkstatt einfacher. Sollte es nach einer Reparatur Beanstandungen im Rahmen der Gewährleistung kommen, wäre der Geschädigte bei einer Reparatur „auswärts“ gezwungen, für Nachbesserungsarbeiten wieder an den Unfallort zurückzufahren (BGH, Urteil v. 28.04.2015, Az. VI ZR 267/149).
- Zusätzliche Kosten würden für die Taxi-, Bus- oder Bahnfahrt zur Abholung des Fahrzeugs in der weit entfernten Werkstatt entstehen.
- Die Reparaturkosten der Heimatwerkstatt sind im Stundenverrechnungssatz niedriger als in der Unfallortwerkstatt, sodass allein dadurch die Abschleppkosten ganz oder teilweise kompensiert werden, z. B. aus der Großstadt aufs Land.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Ein Abschleppen zur Heimatwerkstatt ist auch über weitere Strecken möglich, sofern kein offensichtlicher Totalschaden vorliegt. Die Reparatur des Fahrzeugs kann dann in der Werkstatt des Kunden vorgenommen werden. Hierüber sollte das Autohaus den unfallgeschädigten Kunden – sofern sich dieser unmittelbar nach dem Unfall im Autohaus meldet – aufklären.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Abschleppkosten werden nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall von der gegnerischen Versicherung zu erstattet. Zur Marktforschung vor Beauftragung eines Abschleppunternehmens ist der Geschädigte nicht verpflichtet. Liegt kein offensichtlicher Totalschaden vor, darf zur Heimatwerkstatt abgeschleppt werden.