Neben dem reinen Fahrzeugschaden gibt es bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall eine weitere Schadensposition: die Beeinträchtigung des Fahrzeugwerts. Diese wird als Wertminderung oder auch als merkantiler Minderwert bezeichnet.
Die Höhe der Wertminderung ist immer wieder Streitpunkt in der Unfallregulierung. Oft kürzt die gegnerische Haftpflichtversicherung die geltend gemachte Wertminderung, manchmal ist auch der Geschädigte selbst mit der Höhe unzufrieden und möchte eine höhere Wertminderung im Gutachten festgestellt haben. Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage, ob die vom Gutachter festgestellte Wertminderung bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten um die Umsatzsteuer in Höhe von 19 % zu kürzen ist. Eine klare Tendenz bei den Gerichten ist derzeit nicht erkennbar. Die Frage ist nunmehr auch beim Bundesgerichtshof unter dem Aktenzeichen VI ZR 288/22 anhängig. Ein Entscheidungstermin steht noch nicht fest.
Unter merkantiler Wertminderung wird der Wertverlust verstanden, der dadurch entsteht, dass das verunfallte Fahrzeug trotz fachgerechter und technisch einwandfrei durchgeführter Reparatur im Falle eines Verkaufs einen geringeren Erlös erzielt als ein vergleichbares Fahrzeug ohne Unfallschaden. Grund hierfür ist, dass ein großer Teil des Publikums vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden eine Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge hat.
Wertminderung brutto
Die Gerichte, die die Wertminderung brutto bzw. steuerneutral und damit so wie vom Sachverständigen festgestellt ansetzen, begründen dies wie folgt:
Die Wertminderung ist ein steuerneutraler Betrag. Der Abzug bei der Wertminderung von 19 % ist aufgrund § 1 Abs. 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) falsch. Die Umsatzsteuer fällt regelmäßig nur an, wenn ein Leistungsaustausch vorliegt, also wenn das Fahrzeug tatsächlich schon veräußert wurde. Die merkantile Wertminderung ist jedoch Resultat eines „Kräfteaustausches“ und nicht eines Leistungsaustausches und unterliegt daher nicht der Umsatzsteuer. Die Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ist an die entgeltliche Leistung eines Unternehmers geknüpft. Reine Schadensersatzleistungen sind grundsätzlich kein Entgelt in diesem Sinne, weil und soweit ihnen keine Leistung des Vertragspartners im Austauschverhältnis gegenübersteht (vgl. auch BGH, Urteil vom 11.02.1987, Az. VIII ZR 27/86).
Bei der Ermittlung der Wertminderung geht es um die Feststellung einer Wertdifferenz zwischen dem Zustand vor einem Unfallereignis und dem Zustand nach einem Unfallereignis. Es kommt nur auf den Wert der Sache vor und nach dem Unfall an. Die Bemessung der Wertdifferenz ist mithin unabhängig von einer noch hinzuzurechnenden Umsatzsteuer, die den im Gutachten ausgewiesenen Wiederbeschaffungswert betrifft. Der Sachverständige kann und muss also nicht zwischen Wertminderung brutto oder netto differenzieren.
So haben beispielsweise entschieden: LG Memmingen, Urteil vom 25.05.2022, Az. 13 S 691/21, AG München, Urteil vom 26.09.2022, Az. 336 C 1795/22, AG Bayreuth, Urteil vom 08.09.2022, Az. 109 C 204/22, AG Coburg, Urteil vom 10.06.2022, Az.12 C 867/22, AG Coburg, Urteil vom 09.05.2022, Az. 11 C 769/22, AG Haßfurt, Urteil vom 24.11.2021, Az. 1 C 195/21, AG Coburg, Urteil vom 07.09.2021, Az. 17 C 1661/21, AG St. Goar, Urteil vom 07.06.2021, Az. 31 C 294/20.
Wertminderung brutto
Die Gegenmeinung – vertreten durch das LG Dortmund, Urteil vom 08.11.2022, Az. 21 O 363/21, Amtsgericht Günzburg, Verfügung vom 02.09.2022, Az. 1 C171/22, AG Cham, Urteil vom 06.12.2021, Az. 8 C 617/21, AG Düsseldorf, Urteil vom 05.08.2019, Az. 39 C 107/19, AG Remscheid, Urteil vom 10.11.2017, Az. 8a C 190/16 – argumentiert wie folgt:
Zwar sind die wegen der Wertminderung von einem Geschädigten vereinnahmten Beträge in steuerrechtlicher Hinsicht steuerneutral. Schadensrechtlich betrachtet ist dem Geschädigten, der zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, jedoch nur der Betrag zu erstatten, der ihm verbliebe, wenn er aktuell die Wertminderung – durch Veräußerung des reparierten Kraftfahrzeugs – realisieren würde. Wendet man die §§ 249 ff. BGB an, so ist davon auszugehen, dass der Unternehmer sein Betriebsvermögen immer nur netto betrachtet, denn er hat das Fahrzeug unter Inanspruchnahme des Vorsteuerabzugs netto gekauft und er verkauft es auch wieder netto, weil er beim Verkauf zwar Umsatzsteuer erhält, diese aber wieder abführen muss.
Beispiel: Wenn man von einer Wertminderung von 500 Euro ausgeht, basiert das auf einem um 500 Euro geringeren erzielten Verkaufspreis. Aus diesen beim Verkauf nicht realisierten 500 Euro muss der Geschädigte als Verkäufer keine Umsatzsteuer abführen. Von den 500 Euro Mehrerlös ohne den Unfall und ohne den Minderwert blieben ihm nach Abführung der Umsatzsteuer nur 420,17 Euro. Um diesen Betrag mindert sich die Vermögensbilanz des Geschädigten, wenn er sein zum Betriebsvermögen gehörendes Fahrzeug nun für 500 Euro weniger verkauft, sei es tatsächlich oder gedacht. Die Wertminderung wirkt sich damit um die 19 Punkte weniger aus. Da es im Schadenrecht auf die Vermögensbilanz ankommt, ist die Reduzierung der Wertminderung um rechnerische 19 Punkte richtig.
AG München, Urteil vom 26.09.2022, Az. 33 C 1795/22
Erst kürzlich hat sich auch das Amtsgericht München mit dieser Frage beschäftigt und die Wertminderung beim vorsteuerabzugsberechtigen Geschädigten ohne Abzug angesetzt. Das Amtsgericht München hat folgende neue Argumente angebracht:
Der für die Wertminderung einschlägige § 251 BGB enthält anders als § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB keine Regelung, dass die Umsatzsteuer nur zu ersetzen ist, wenn diese tatsächlich anfällt. Daraus kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass beim Wertersatz nach § 251 BGB die Umsatzsteuer auch dann in dem zu erstattenden Betrag enthalten ist, wenn diese bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten konkret nicht anfällt.
Ob und inwieweit die Wertminderung sich tatsächlich realisiert, hat keinen Einfluss auf deren Erstattungsfähigkeit. Nur wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur als Gebrauchtwagen zu dem angenommenen Minderwert verkauft, wirkt sich die Wertminderung aus. Es ist aber Sache des Geschädigten, ob er das Fahrzeug verkauft oder nicht. Wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur behält und bis zum Zeitpunkt der Entsorgung weiter behält, realisiert sich die Wertminderung zu keinem Zeitpunkt und doch enthält der Geschädigte die Wertminderung als Kompensation für einen merkantilen Minderwert. Die Frage der Berechtigung zum Vorsteuerabzug wirkt sich in diesem Fall nicht aus, sondern der Geschädigte hat unabhängig vom Vorsteuerabzug einen Vorteil. Ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtigter Geschädigter erhält den Gesamtbetrag und darf, selbst wenn er das Fahrzeug nicht verkauft, sondern weiter nutzt, den Gesamtbetrag behalten. Daher kann es bei einem zum Vorsteuerabzug berechtigten Geschädigten nicht anders sein.
Die Aussage, die Umsatzsteuer sei bei einem Vorsteuerabzugsberechtigten nur ein durchlaufender Posten, ist nur dann richtig, wenn der Vorsteuerabzugsberechtigte das Unfallfahrzeug tatsächlich unmittelbar nach der Reparatur in Deutschland verkauft und sich der Steuersatz nicht verändert. Gebrauchtwägen werden aber mit zunehmendem Alter, mit zunehmenden Gebrauchsspuren und Unfallvorgeschichte für den deutschen Gebrauchtwagenmarkt unattraktiv, können trotzdem noch gut in andere Länder exportiert werden und dort noch viele Jahre fahren. Das deutsche System mit der Vorsteuerabzugsberechtigung gilt aber nicht in jedem Land und auch die Höhe der Umsatzsteuer ist nicht in jedem Land gleich.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Die Wertminderung ist Resultat eines „Kräfteaustausches“ und nicht eines Leistungsaustausches und unterliegt daher nicht der Umsatzsteuer. Der Sachverständige sollte daher keine „Wertminderung netto“ und keine „Wertminderung brutto“ in seinem Gutachten ausweisen. Diese Differenzierung ist überflüssig und steuerrechtlich falsch.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Ob sich die steuerneutrale Wertminderung beim zum Vorsteuerabzug berechtigten Geschädigten in voller Höhe auswirkt oder nur in einem um die Höhe der Umsatzsteuer reduzierten Betrag, ist eine Frage der Schadenregulierung. Der vorsteuerabzugsberechtigte Geschädigte sollte derzeit nur Klage einreichen, wenn er weiß, wie das zuständige Gericht entscheidet oder andernfalls die Entscheidung des BGH zum Aktenzeichen VI ZR 288/22 abwarten, solange noch keine Verjährung droht.