Es gibt auch Unfälle, an denen nicht ein anderer schuld ist, sondern man selbst. In diesem Fall tritt, sofern eine solche besteht, die Vollkaskoversicherung für den Schaden ein. Der Versicherungsnehmer kann die Reparaturkosten dort einreichen. Aber auch die Vollkaskoversicherung ist eine Versicherung und so kürzt auch diese gerne die Reparaturkosten. Genau so erging es einer Versicherungsnehmerin. An ihrem Fahrzeug waren nach einem selbstverschuldeten Unfall Reparaturkosten in Höhe von Euro 11.725,01 entstanden. Die Vollkaskoversicherung regulierte nach Abzug der Selbstbeteiligung von Euro 300 lediglich Euro 11.270,01 und hat somit Euro 155 an Reparaturkosten gekürzt. Gekürzt wurden Verbringungs- und Desinfektionskosten.
Hiermit war die Versicherungsnehmerin nicht einverstanden und klagte die Differenz gegenüber ihrer eigenen Vollkaskoversicherung ein. Sie hat sich in der Klagebegründung auf das Werkstattrisiko berufen. Über den Fall hatte das Amtsgericht (AG) München mit Urteil vom 23.5.2023, Az. 331 C 14558/22, entschieden. Dieses hat der Klägerin Recht gegeben. Auf das Werkstattrisiko kann sich die Klägerin nämlich auch gegenüber ihrer Vollkaskoversicherung berufen.
Was ist das Werkstattrisiko bei einem Haftpflichtschaden?
Wenn der Geschädigte den Schaden konkret abrechnet, kann er den zur Herstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verlangen.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung hat der Schädiger die Aufwendungen zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten dürfte. Denn er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm zumutbaren, den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Die Schadensbetrachtung hat sich nicht nur an objektiven Kriterien zu äußern, sondern ist auch subjektbezogen. Dabei ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten, sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Möglichkeiten zu nehmen.
Das geht auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1974 zurück (BGH, Urteil vom 29.10.1974, Az. VI ZR 42/73). Der BGH führt hierzu auch in einer Reihe von weiterem Urteilen aus:
Bei der Reparatur von Kraftfahrzeugen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass den Kenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Schadensregulierung regelmäßig Grenzen gesetzt sind, dies vor allem, sobald er den Reparaturauftrag erteilt hat und das Fahrzeug in die Hände von Fachleuten gibt. Der Geschädigte darf nicht mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bleiben, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigungen in einer fremden, vom Geschädigten nicht mehr kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Es macht dabei für den Geschädigten keinen Unterschied, ob die Werkstatt dem Geschädigten unnötige Arbeiten in Rechnung stellt, überhöhte Preise oder Arbeitszeiten in Ansatz bringt, oder Arbeiten berechnet, die in dieser Weise nicht ausgeführt worden sind.
Gilt das Werkstattrisiko auch in der Vollkaskoversicherung?
Grundsätzlich ist Kaskorecht Vertragsrecht. Der Versicherungsnehmer hat gegen seine Vollkaskoversicherung einen vertraglichen Anspruch, es handelt sich nicht um einen Schadensersatzanspruch. Welcher Anspruch besteht, ist in dem jeweiligen Versicherungsvertrag und den dazugehörigen Bedingungen geregelt. Daher muss zunächst ein Blick in den jeweiligen Vollkaskoversicherungsvertrag geworfen werden.
Da der Kaskovertrag meist keine Regelungen bzgl. Preisobergrenzen für Material und Arbeit enthält, sind diese Teil der „für die Reparatur erforderlichen Kosten“ aus der Standardklausel. In Verträgen, in denen der Versicherer keine Sonderregeln vereinbart hat, ist die generelle Klausel zu den Reparaturkosten meist unter Ziffer A.2.6 ff zu finden. Diese Formulierung ist, so hat es der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, auslegungsbedürftig, weil nicht eindeutig.
Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 11.11.2015, Az. IV ZR 426/14) gelten für die Auslegung, welche Kosten als für die Reparatur erforderlich im Sinne von Ziff. A.2.6.2 anzusehen sind, die allgemeinen Maßstäbe. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind daher so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss.
Mit dem Abschluss einer Fahrzeugkaskoversicherung erstrebt der Versicherungsnehmer in der Regel nicht nur den Schutz vor wirtschaftlich nachteiligen Folgen hinsichtlich des eigenen Fahrzeugschadens bei selbst verschuldeten Unfällen, sondern auch die Befreiung vom Risiko der Durchsetzung von Ersatzansprüchen gegen den Unfallgegner bei unklarer Haftungslage. Dass der Umfang ihres Anspruchs gegen den Versicherer insoweit generell hinter dem zurückbleiben soll, was im Schadenfall von einem haftpflichtigen Unfallgegner verlangt werden kann, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem Begriff der erforderlichen Kosten jedenfalls nicht entnehmen. Hinsichtlich der beanstandeten Posten kommt es also nicht darauf an, ob die Arbeiten erforderlich im engeren Sinn waren bzw. ob überhöhte Preise abgerechnet wurden.
Da sie abgerechnet wurden, trägt der Schädiger und in diesem Fall der Kaskoversicherer das Risiko für eine nicht sachgerechte oder zu überhöhten Preisen vorgenommene Reparatur. So das AG München.
Ist die beklagte Versicherung der Ansicht, dass die geltend gemachten Reparaturkosten mangels Vornahme einer Fahrzeugverbringung oder Fahrzeugdesinfektion nicht abgerechnet werden können oder jedenfalls nicht in der geltend gemachten Höhe, kann sie diese Einwände gegenüber der Reparaturwerkstatt geltend machen. Diese ist – anders als die Klägerin – auch in der Lage, sich angemessen gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Von einem etwaigen Prozessrisiko ist die Klägerin nach den hier anwendbaren Grundsätzen des Werkstattrisikos zu befreien. Das AG München hat die Beklagte daher zur Zahlung der Euro 155 Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ersatzansprüche gegen die Werkstatt verurteilt.
Für das Autohaus/Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Das Autohaus/Kfz Werkstatt sollte den Kunden auch im Vollkaskofall darauf hinweisen, dass er gegen seine eigene Vollkaskoversicherung vorgehen und sich auf das Werkstattrisiko berufen kann. So dürfte das Autohaus seine Reparaturkosten wiederum voll bezahlt bekommen, sofern es die Reparatur ordnungsgemäß durchgeführt hat.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte ist auch gegenüber seiner Vollkaskoversicherung geschützt und kann sich auf das Werkstattrisiko berufen. Kürzt die Vollkaskoversicherung daher einzelne Rechnungspositionen aus der Reparaturrechnung, sollte der Geschädigte dagegen vorgehen.