In unserem letzten Newsletter hatten wir uns das Werkstattrisiko näher angeschaut und erläutert, ob dieses auch bei unbezahlten Rechnungen zur Anwendung kommt. Nun gibt es zur Indizwirkung einer unbezahlten Reparaturrechnung ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH).
c) Indizwirkung der Reparaturrechnung – Urteil des BGH vom 26.04.2022, Az. VI ZR 147/21
Über die Indizwirkung einer Reparaturrechnung hatte der BGH bisher noch nicht entschieden. Inzident hat er nun zu diesem Thema im Urteil vom 26.04.2022, Az. VI ZR 147/21, Stellung genommen. Hierin hat der BGH festgehalten:
Selbst wenn die von der Werkstatt abgerechneten Leistungen teilweise nicht erforderlich gewesen sind, so ist dies nach den Grundsätzen zum „Werkstattrisiko“ grundsätzlich zunächst unbeachtlich:
„Übergibt der Geschädigte das beschädigte Fahrzeug an eine Fachwerkstatt zur Instandsetzung, ohne dass ihn insoweit ein (insbesondere Auswahl- oder Überwachungs-) Verschulden trifft, sind die dadurch anfallenden Reparaturkosten im Verhältnis des Geschädigten zum Schädiger grundsätzlich auch dann vollumfänglich ersatzfähig, wenn sie aufgrund unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise der Werkstatt im Vergleich zu dem, was für eine entsprechende Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind“ (sog. Werkstattrisiko des Schädigers).
Zur Annahme eines Verschuldens des Klägers genüge es, so der BGH, nicht, dass die von der Werkstatt abgerechneten Kosten circa 15 % über der Kalkulation im vom Kläger zuvor eingeholten Schadensgutachten lagen. Falls die von der Werkstatt abgerechneten Kosten tatsächlich überhöht seien, könne der Schädiger im Rahmen des Vorteilsausgleichs die Abtretung von Ansprüchen des Geschädigten gegen die Werkstatt verlangen.
Der BGH hat weiter ausgeführt wie folgt:
„Aus der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Senatsrechtsprechung zur Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten ergibt sich nichts Anderes. Zuvor hat der erkennende Senat hier in Bezug auf die ersatzfähige Höhe von Sachverständigenkosten ausgesprochen, dass sich nur der vom Geschädigten beglichenen Rechnung, nicht aber einer unbeglichenen Rechnung allein ein Anhalt zur Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrags im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB entnehmen lasse. Hieraus lässt sich aber nicht ableiten, dass im Falle einer (noch) nicht bezahlten Rechnung vom Geschädigten ohne Verschulden veranlasste und tatsächlich durchgeführte Schadenbeseitigungsmaß-nahmen bei der Bemessung des erforderlichen Herstellungsaufwands – den Grundsätzen der subjektbezogenen Schadenbetrachtung zuwider – nur deshalb außer Betracht bleiben müssen, weil sie sich nach fachkundiger Prüfung bei rein objektiver Betrachtung als unangemessen erweisen.“
Mithin gilt nach der hier vertretenen Auffassung: Gibt es weitere konkrete Anhaltspunkte für den Geschädigten, dass die berechneten Reparaturkosten erforderlich sind, ist er geschützt. Der weitere konkrete Anhaltspunkt wird in der Regel die – im Wesentlichen – Übereinstimmung der Reparaturrechnung mit der Prognose des Sachverständigen sein (vgl. BGH, Urteil vom 05.06.2018, Az. VI ZR 171/16). In diesem Sinne haben auch bereits erste Gerichte entschieden (vgl. AG Otterndorf, Urteil vom 27.07.2022, Az. 2 C 316/21; LG Stade, Urteil vom 11.08.2022, Az. 4 S 27/21).
Anderer Ansicht ist das LG Stuttgart (Urteil vom 03.08.2022, Az. 13 S 43/22). Es verneint die Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs und des Werkstattrisikos für den Fall der unbezahlten Rechnung. Der Geschädigte könne sich nämlich bereichern, wenn er das Geld vom Versicherer bekomme und es nicht an die Werkstatt weiterleite, so das LG. Auch der Vorteilsausgleich funktioniere nicht. Wenn der Versicherer aufgrund der Abtretung von der Werkstatt die Überzahlung zurückfordere, kann diese entgegnen, sie habe das Geld nicht bekommen und müsse nur das zurückzahlen, was sie erhalten habe und ihrem Kunden zurückerstatten müsste.
Das LG Stuttgart hat die Revision zum BGH zugelassen. Es ist davon auszugehen, dass der BGH über den Fall zu gegebener Zeit entscheiden wird.
Für das Autohaus/Kfz-Werkstatt heißt das Folgendes:
Das Autohaus/Kfz Werkstatt sollte den Auftrag des Geschädigten, die Reparatur gemäß Gutachten durchzuführen, abarbeiten. Es sollte die Reparaturarbeiten gemäß der Prognose des Sachverständigen ausführen und die Reparaturrechnung sollte im Wesentlichen mit der Prognose des Sachverständigen übereinstimmen.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte sollte nach dem neuen Urteil des BGH auch im Falle einer nicht bezahlten Reparaturrechnung geschützt sein und sich auf das Werkstattrisiko berufen können. Er muss im Prozess vortragen, dass er die Kfz-Werkstatt beauftragt hat, alle Arbeitsschritte wie im Gutachten vorgesehen durchzuführen, und die Instandsetzungsarbeiten veranlasst hat. Des Weiteren muss er vortragen, dass er angesichts der Rechnung berechtigt darauf vertraut hat, dass die Arbeiten von der Kfz-Werkstatt auch durchgeführt wurden.