Bislang haben wir überwiegend Unfälle zwischen PKWs behandelt. Aber natürlich gibt es auch andere Unfallbeteiligte wie Motorradfahrer, Fahrradfahrer oder auch Fußgänger. Bei Unfällen mit Motorrädern beispielsweise sind in haftungsrechtlicher Hinsicht einige Besonderheiten zu beachten, vom Haftungsgrund bis hin zur Abrechnung von einzelnen Schadensersatzpositionen. Allein schon die Gefahr eines Gesundheitsschadens ist deutlich größer. Nachstehend geben wir einen kurzen Überblick – in diesem Newsletter zum Haftungsgrund, im nächsten dann zu einzelnen Schadensersatzpositionen:
Haftungsgrund
1) Halter- und Fahrerhaftung
Grundsätzlich haftet ein Motorradfahrer, wenn es zu einem Unfall kommt, aus der Gefährdungshaftung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG). Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der Halter, nach § 18 Abs. 1 StVG der Fahrer für einen Schaden, der „bei dem Betrieb“ des Motorrades entstanden ist.
2) Keine Haftung bei unabwendbarem Ereignis
Die Haftung des Halters gegenüber einem anderen motorisierten Verkehrsteilnehmer kann ausgeschlossen sein, wenn der Unfall nach § 17 Abs. 3 StVG unabwendbar war. Unabwendbar ist ein Ereignis, das auch bei Anwendung möglich äußerster Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können. Diese Sorgfalt erfordert ein geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln, welches über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinausgeht. Die Rechtsprechung geht von einer Unabwendbarkeit aus, wenn auch ein sogenannter Idealfahrer den Verkehrsunfall nicht hätte verhindern können.
In der Praxis gelingt der Entlastungsbeweis selten, weil meist irgendein relevanter Punkt zu Lasten des Kraftradfahrers ungeklärt bleibt.
Der Fahrer des Motorrads, der nicht Halter ist, kann sich dagegen nach § 18 Abs. 1 S. 2 StVG von seiner Ersatzpflicht befreien, wenn er seine Schuldlosigkeit nachweist. Ihm gelingt der Entlastungsbeweis leichter – nämlich dann, wenn er die gewöhnliche verkehrserforderliche Sorgfalt angewandt hat, mit der er gewöhnliche Verkehrslagen hätte meistern können.
3) Mitverschulden bei Fahren ohne Helm oder bei Fahren ohne Schutzkleidung
Kann einem Motorradfahrer, der ohne Helm und/oder Schutzkleidung gefahren ist, ein Mitverschulden angelastet werden?
a) Fahren ohne Helm
Wer Krafträder oder offene drei- oder mehrrädrige Kraftfahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h führt sowie auf oder in ihnen mitfährt, muss nach § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO während der Fahrt einen geeigneten Schutzhelm tragen. Fahrradfahrern obliegt dagegen keine Helmpflicht.
Ein Verstoß gegen die Helmpflicht kann zu einem Mitverschulden jedenfalls bzgl. beim Unfall erlittener Kopfverletzungen führen. Die Beweislast für die Ursächlichkeit des Nichttragens des Motorradhelms trägt nach § 254 BGB grundsätzlich der Schädiger. Zugunsten des Schädigers spricht aber der Beweis des ersten Anscheins für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Nichtbenutzen des Helms und den Kopfverletzungen, wenn ein Kraftradfahrer, der ohne Schutzhelm fährt, bei einem Unfall Kopfverletzungen erlitten hat, vor denen der Schutzhelm allgemein schützen soll (vgl. BGH, Urteil vom 25.01.1983, Az. VI ZR 92/81).
Ein Mitverschulden scheidet dagegen aus, wenn der Umstand, dass der Geschädigte keinen Schutzhelm getragen hat, sich nicht schadenserhöhend ausgewirkt hat, was in der Regel durch ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten geklärt werden muss.
b) Fahren ohne Schutzkleidung
Eine gesetzliche Verpflichtung zum Tragen von Schutzkleidung für Motorradfahrer gibt es hingegen nicht. Aber auch ohne diese gesetzliche Pflicht kann es zu Anspruchskürzungen kommen, wenn es ein sogenanntes allgemeines Verkehrsbewusstsein für einen entsprechenden Schutz gibt. Ein solches liegt vor, wenn in den betroffenen Verkehrskreisen nicht nur ein allgemeines Bewusstsein über die Notwendigkeit, geeignete Schutzkleidung zu tragen, besteht, sondern wenn ein großer Teil der Motorradfahrer auch tatsächlich so verfährt.
Ein Mitverschulden wegen Nichttragens von Schutzkleidung ist bereits mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen gewesen:
Das OLG München (Urteil vom 19.05.2017, Az. 10 U 4256/16) hat für das Tragen von Motorradstiefeln (der Kläger fuhr ein Leichtkraftrad und hat Turnschuhe getragen) kein allgemeines Verkehrsbewusstsein feststellen können. Ebenso verneinte das OLG Nürnberg (Beschluss vom 09.04.2013, Az. 3 U 1897/12) ein Mitverschulden des verletzten Motorradfahrers, der keine Motorradstiefel trug, da aufgrund der Vielzahl von möglichen Schuhvariationen völlig unklar bliebe, welcher Standard das Verkehrsbewusstsein prägen soll.
Nach Ansicht des OLG Brandenburg (Urteil vom 23.07.2009, Az. 12 U 29/09) dagegen hat sich ein Motorradfahrer, der ohne ausreichende Schutzkleidung fährt und einen Unfall hat, ein Mitverschulden – nämlich ein sog. Verschulden gegen sich selbst – an den erlittenen Verletzungen anrechnen zu lassen. Denn der Motorradfahrer, der auf die Schutzkleidung verzichtet, lässt diejenige Sorgfalt außer Acht, die ein verständiger und ordentlich handelnder Dritter zur Vermeidung des eigenen Schadens anwenden würde. Ebenso geht das LG Köln (Urteil vom 15.05.2013, Az. 18 O 148/08) davon aus, dass sich der geschädigte Motorradfahrer ein sich ursächlich auswirkendes Nichttragen einer ausreichenden Schutzkleidung entgegenhalten lassen muss.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Für das Autohaus treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Für den Sachverständigen treten hier keine Besonderheiten auf.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Motorradfahrer, der in einen Unfall verwickelt ist, haftet dann nicht und erhält seinen Schaden von der gegnerischen Versicherung erstattet, wenn der Unfall für ihn unabwendbar war und auch ein Idealfahrer den Unfall nicht hätte vermeiden können. Damit dem Motorradfahrer auch kein sog. Verschulden gegen sich selbst im Rahmen des Mitverschuldens entgegengehalten werden kann, sollte der Motorradfahrer immer Helm und geeignete Schutzkleidung tragen.