Viele Gerichte befassen sich immer noch damit, ob die Kosten für Desinfektionsmaßnahmen im Rahmen der Reparatur nach einem Kfz-Haftpflichtschaden im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstattbar sind. Die Rechtsprechung ist weiterhin uneinheitlich. Manche Gerichte sprechen dem Geschädigten diese Kosten in voller Höhe (gemäß Gutachten und Rechnung) zu und argumentieren – wie bei den Reparaturkosten – mit dem „Werkstattrisiko“, da der Geschädigte auf die Entstehung dieser Kosten keinen Einfluss habe. Andere Gerichte prüfen ausdrücklich die Erforderlichkeit der Desinfektion und kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Mittlerweile liegen uns auch einige Urteile von den Amtsgerichten (AG) in unserer Region vor.
1. AG Memmingen, Verfügung vom 23.07.2021, Az. 21 C 469/21
Nach der derzeitigen Rechtsprechung des AG Memmingen gilt:
„Die Reinigung des Fahrzeugs vor Ausführung der Reparaturarbeiten ist dem Arbeitsplatzbereich des Unternehmens zuzuordnen. Der Schutz der Mitarbeiter steht hier im Vordergrund. Insofern trägt die Werkstatt diese Kosten. Die Reinigung im Zusammenhang mit der Übergabe des Fahrzeugs an den Geschädigten hat der Schädiger vollständig zu übernehmen. Das Fahrzeug des Geschädigten kommt aufgrund des Unfallereignisses mit fremden Personen in Kontakt. Aufgrund der vielleicht geringen, aber immerhin gegebenen Gefahr einer möglichen Infektion hat der Geschädigte daher adäquat kausal durch das Unfallereignis verursacht einen Anspruch auf Reinigung des Fahrzeugs auf den möglichen Kontaktflächen. Der Aufwand wird pauschal gemäß § 287 ZPO mit 30,00 Euro netto veranschlagt.“
2. AG Landsberg, Urteil vom 25.02.2022, Az. 1 C 551/21
„Die subjektbezogene Schadensbetrachtung findet insofern Anwendung, als der Geschädigte die Reparaturrechnung einer gewissen Plausibilitätskontrolle unterziehen muss. Für einen Laien wäre zu erkennen, dass Kosten nicht erforderlich sind, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Preis und Leistung besteht oder bestimmte Arbeiten erkennbar nicht durchgeführt und trotzdem berechnet wurden. Bei der Höhe der vorliegend abgerechneten Kosten über 59,85 Euro netto mussten sich dem Kläger als Laien Zweifel an der Erforderlichkeit aufdrängen. Der abgerechnete Betrag stellt auch für einen Laien eine deutlich übersetzte Forderung dar. Für eine Desinfektion der im Rahmen einer Reparatur relevanten Flächen genügen ein Tuch, Desinfektionsmittel im Bereich von Millilitern bis Centilitern und ein minimaler zu vernachlässigender Arbeitsaufwand. Selbst wenn man noch Kosten für Handschuhe und Masken hinzurechnen würde, welche mehrfach verwendet werden können und es sich dabei um Arbeitsschutzmaßnahmen handelt, für die grundsätzlich der Arbeitgeber aufzukommen hat, erscheint eine Forderung in dieser Höhe für einen verständigen und wirtschaftlich denkenden Menschen absolut nicht nachvollziehbar. Für eine Schätzung sieht das Gericht keinen Raum.“
In diesem Urteil wurde die bisherige Rechtsprechung geändert. Denn mit Urteilen vom 05.10.2020, Az. 3 C 420/20, vom 15.10.2020, Az. 4 C 468/20 und vom 17.09.2021, Az. 1 C 118/21– letztere beiden Urteile hatte unsere Kanzlei erstritten – hatte das AG Landsberg noch anders entschieden und die Covid-19-Reinigungskosten für erforderlich gehalten.
3. AG Augsburg, Urteil vom 28.02.2022, Az. 17 C 4015/21
„Das Werkstattrisiko gilt nicht für die Desinfektionskosten. Die Reparaturwerkstatt rechnete, wie im Gutachten festgehalten, für die Fahrzeugdesinfektion 46,50 Euro netto ab (3 AW). Der verständige Auftraggeber kann erkennen, dass um die 50 Euro Desinfektionskosten zu viel sind. Für die Desinfektion eines Autos sind 1 Arbeitswert (AW) und somit 5 Minuten ausreichend. Der Kläger konnte somit 15,50 Euro netto als Desinfektionskosten geltend machen.“
4. AG Biberach, Verfügung vom 03.02.2022, Az. 2 C 795/21
„Desinfektionsmittelmaßnahmen fallen nicht unter das Werkstatt- und Prognoserisiko, da diese nicht als unmittelbarer Bestandteil der Reparaturarbeiten anzusehen sind. Gleichwohl sind diese grundsätzlich ersatzfähig, da der Geschädigte in Zeiten der Corona-Pandemie eine Desinfektion der wesentlichen Kontaktflächen erwarten darf. Jedoch wird sich die Desinfektion der genannten Flächen regelmäßig ohne höheren Aufwand bewerkstelligen lassen, so dass das Gericht die entstehenden Kosten pauschal auf 25,00 Euro netto schätzt.“
5. AG München, Urteile vom 12.01.2021, Az. 336 C 18147/20, 30.04.2021, Az. 337 C 3776/21, 06.05.2021, Az. 344 C 2777/21, 27.09.2021, Az. 331 C 3645/21
Beim Amtsgericht München werden die Desinfektionskosten bislang regelmäßig zugesprochen, sowohl unter dem Gesichtspunkt des Werkstattrisikos als auch der Erforderlichkeit.
Dies ist wichtig für Klagen gegen die Allianz Versicherung AG, die ihren Sitz in München hat, und vor dem AG München verklagt werden kann. Unserer Erfahrung nach verteidigt sich die Allianz Versicherung AG gegen die Klagen regelmäßig. In den Gerichtsverfahren werden dann auch zahlreiche, umfangreiche Schriftsätze zwischen den Parteien gewechselt.
Für das Autohaus heißt das Folgendes:
Die Erstattungsfähigkeit der Desinfektionsmaßnahmen bleibt weiterhin strittig. Die jeweilige Rechtsprechung der Gerichte zu kennen, ist daher wichtig.
Für den Sachverständigen heißt das Folgendes:
Der Gutachter sollte weiterhin den zusätzlichen Arbeits- und Materialaufwand für Desinfektionsmaßnahmen in sein Gutachten mit aufnehmen. Es empfiehlt sich, mit der Kfz-Werkstatt die Höhe der Kosten abzusprechen.
Für den Geschädigten heißt das Folgendes:
Der Geschädigte hat nach immer noch überwiegender Auffassung der Gerichte Anspruch auf Erstattung der Position „Kosten für Desinfektionsmaßnahmen“, allerdings werden die Kosten der Höhe nach mittlerweile von den Gerichten oftmals gekürzt.